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Werkzeugkoffer Ernährungsberatung (II): Rogers & Co.

Wer Ernährungsberatung betreibt, sollte Klarheit über die Methoden haben, auf deren Basis er berät. Ein sehr verbreiteter Ansatz ist der humanistische, zu dessen prominentesten Vertreter der amerikanische Psychologe Carl Rogers mit seiner Methode der nondirektiven Gesprächsführung gehört. Konzipiert für die Therapie psychischer Störungen, hat der Nicht-direktive Ansatz auch verstärkt Ansatz in die Ernährungsberatung gefunden.Dabei wird nicht das Essverhalten fokussieren – stattdessen geht es dem Therapeut zunächst darum, herauszufinden, wie die allgemeine Gefühlslage des Klienten ist, wie sein subjektiver Horizont aussieht, wie er seine Lebenssituation einschätzt.
 
Der Psychologe Prof. Christoph Klotter, Inhaber der Professur für Ernährungspsychologie an der Hochschule Fulda, erklärt: Ein Therapeut, der mit dieser Methode arbeitet „würde nicht mit gezielten Fragen das Gespräch strukturieren, sondern den Klienten kommen lassen. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen, er soll das vorbringen, was ihm auf der Seele liegt, er lenkt das Gespräch, er soll für sich gute Lösungen entwickeln. Der Gesprächspsychotherapeut sieht sich als Begleiter, nicht als Problemlöser.“

Praxistipps für die Beratung

In der Fachzeitschrift „Ernährung im Fokus“, herausgegeben vom aid (Ausg. 11-12 / 2014), gibt Klotter einen den humanistischen Ansatz Ernährungsberatung, verbunden mit einer Reihe von Praxistipps, von denen docFood bereits einige vorgestellt hat – siehe hier. Hier der zweite Teil von Klotter Empfehlungen für die Praxis:
Praxistipp 4: Wahre Motivation ergründen
Die Ernährungsberaterin muss herausfinden, ob der Wunsch nach Gewichtsabnahme nur daher rührt, dass der Klient den Erwartungen der Gesellschaft oder denen seiner Frau gerecht werden will, oder ob er es wirklich für sich will. Als Faustregel gilt: Wenn ich nur die Erwartung anderer erfüllen will, ist die Prognose für eine erfolgreiche Gewichtsabnahme nicht besonders gut. Letztlich sehe ich gar nicht richtig ein, warum ich das tun soll.
Praxistipp 5: Den Lebens¬hintergrund verstehen
Essverhalten ist nicht zu isolieren von dem, wie ich lebe, von meiner Arbeit, von meiner Familie, von meinen sozialen Kontakten, von meiner Freizeit, von meiner Work-Life-Balance, von meiner Einstellung zum Leben. Wenn ich Hartz-IV-Bezieher bin, dann ist meine Motivation zur Gewichtsabnahme möglicherweise gering, weil Essen und Trinken einer der wenigen Freuden sind, die mir das Leben bietet. Nur wenn der Klient mitbekommt, dass die Ernährungsberaterin versucht, seine gesamte Lebenssituation und seinen subjektiven Sinnhorizont zu verstehen, wird er sich richtig angenommen fühlen. Das bedeutet nicht unbedingt, dass seine Lebenssituation explizit thematisiert wird, es bedeutet eher, dass sich die Ernährungsberaterin in sein Leben hinein denkt und hinein fühlt.
Praxistipp 6: Den Klienten „wachsen” lassen
Die Ernährungsberaterin muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Klient wachsen und sich selbst verwirklichen kann. Das eige-ne Essen lässt sich als Selbstverwirklichung begreifen: die eigenen Vorlieben erkunden, den eigenen Geschmackshorizont erweitern, neue Gerichte ausprobieren, für Freunde kochen, einmal auf den Bauernhof fahren, einen kleinen Garten für Ge¬müse anlegen.
Die humanistischen Psychologen argumentierten nicht nur gegen die Verhaltenstherapie. Freud warfen sie vor, ein zu negatives Menschenbild zu haben – etwa mit seiner Theorie vom Todestrieb. Davon wollten die humanistischen Psychologen nichts wissen. Für sie war der Mensch von Natur aus gut. So formuliert Rogers: „Einer der revolutionärsten Einsichten, die sich aus der klinischen Erfahrung entwickelt haben, ist die wachsende Erkenntnis: Der innerste Kern der menschlichen Natur, die am tiefsten liegenden Schichten seiner Persönlichkeit, die Grundlage seiner tierischen Natur ist von Natur aus positiv — von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch.”

Tipp von docFood

Wie und wann setze ich die Methode von Rogers ein und welche Alternativen stehen mir zur Verfügung. Diese und andere Fragen, die sich Beratungskräfte in der Praxis stellen, beantwortet Prof. Klotter regelmäßig in seinen Seminaren und übt mit den Teilnehmern die verschiedenen Methoden ein. Unter dem Titel „Werkzeugkoffer Ernährungsberatung“ findet das nächste am 08./09. Mai im freiraum in der Reihe Fachseminare für Ernährungsprofis statt. Der Besuch beim docFood-Partner freiraum Seminare lohnt.

Friedhelm Mühleib