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Probiotika gegen Demenz & Co.?

Kann die Medizin die Darmflora nutzen, um Multiple Sklerose, Angstzustände, Autismus oder sogar Alzheimer zu heilen? So weit ist man noch lange nicht. Trotzdem belegen immer mehr Studien, dass Mikroorganismen aus dem Darm sowohl unser Verhalten beeinflussen als auch die Physiologie und Neurochemie des Gehirns verändern können. Wie aktuelle Untersuchungen einer Forschergruppe  unter der Leitung von Prof. John Cryan (Foto), Leiter des APC Microbiome Institute der Cork-University in Irland zeigen, könnten könnten sich neue Wege in der Behandlung z.B. von Krankheiten des Nervensystems  und psychischen Störungen ergeben.
 
Was hat die Darmflora mit dem Großhirn zu tun?
Prof. John F. Cryan erforscht schon seit Jahren die Rolle der Darmbakterien in der Kommunikation zwischen Darm und Gehirn und gehört zu den Vorreitern der Erforschung der Hirn-Darm-Achse. Die Bakterien könnten, so Cryans Erkenntnis, ganz neue Perspektiven für die Behandlungen von Angst, depressiver Verstimmung und stressbedingten psychiatrischen Störungen eröffnen. Auch die aktuelle Studie der Gruppe um Cryan war diesem Thema gewidmet, in der es um den Einfluss der Mikrobiota auf den präfrontalen Cortex (PFC, Frontallappen) ging. Der PFC ist eine Schlüsselregion im Großhirn, in der zum einen die Vernunft zu Hause ist, wo aber auch Emotionen verarbeitet werden. Er spielt bei der Entstehung verschiedener neuropsychologischer Störungen wie Depression, Schizophrenie und Autismus eine Rolle.
 
Wie die Darmflora bei der Isolierung unserer  Nerven hilft
Die Forscher verglichen Mäuse mit normaler Darmflora und keimfreie Mäuse, die auf Grund einer Antibiotikabehandlung keine Darmflora besaßen. Sie wollten wissen, was im Frontallappen der keimfreien Gruppe im Vergleich mit den normalen Mäusen passiert und machten dabei eine überraschende Entdeckung: Den Zusammenhang zwischen einer intakten Darmflora und der Versorgung der Nerven mit Myelin. Myelin ist eine Substanz, die die Fortsätze von Nervenzellen wie eine Isolierung in Form der sogenannten Myelinscheiden umgibt. Intakte Myelinscheiden schützen die Nervenfortsätze und sichern die schnelle und effiziente Kommunikation im Nervensystem. Somit sind sie eine Voraussetzung für das normale Funktionieren unserer Nerven. Wird diese Isolierschicht beschädigt, entstehen neurologische Erkrankungen mit z.T. verheerenden Folgen. Auch der Multiplen Sklerose liegt ein Abbau des Myelins zu Grunde, was zu den bekannten Wahrnehmungs- und Bewegungsstörungen führt, die schließlich zum Tod führen können.
 
Beweis für die Wechselwirkung zwischen Darm und Hirn
Wie gut oder schlecht die Nervenzellen im PFC mit Myelin isoliert sind, ist mit abhängig von der Existenz einer intakten Darmflora – so die wichtigste Erkenntnis der Studie des Teams von Cryan. Bei den keimfreien Mäusen konnten die Forscher im Vergleich zu den Mäusen mit Darmflora im präfrontalen Cortex einen wesentlich stärkeren Anstieg der Genexpression für Myelin messen. Wurde den keimfreien Mäusen anschließend wieder eine normale Darmflora übertragen, ging ihre Fähigkeit zur verstärkten Myelinbildung weitgehend verloren. Durch den Einsatz der Transmissionselektronenmikroskopie konnten die Forscher erstmalig das Ausmaß der Zunahme der Myelinisierung sichtbar machen – was einen wissenschaftlichen Durchbruch bedeutet: “Wir haben damit einen Prozess entschlüsselt, der die Myelinbildung im Frontallappen bremst“ resümiert Cryan. „Unseres Wissens nach ist das die erste Studie, die eine Verbindung zwischen Mikrobiom und Myelinbildung eindeutig beweist.“ Von ihrer Entdeckung erhoffen sich die Forscher nun auch für die Therapie der Multiplen Sklerose und anderer Erkrankungen des Nervensystems, die auf Schädigungen der Myelinscheide beruhen, ganz neue Ansatzpunkte. Dabei denkt man über den Einsatz von Prae- und Probiotika sowie über Stuhlübertragungen nach, um die Zusammensetzung der Darmflora in Richtung auf einen optimalen Einfluss auf das Gehirn zu „justieren“.
 
Zukunftsmusik: Prae- und Probiotika statt Psychopharmaka?
Bis dahin bleibt allerdings noch viel zu erforschen: Cryan und sein Team planen derzeit neue Studien mit Mäusen verschiedener Altersgruppen, um herauszufinden, in welchen Lebensphasen eines Wirtes das Mikrobiom welchen Einfluss auf das Gehirn hat. „Wir wollen die grundlegenden Mechanismen verstehen: Wo im Mikrobiom liegt die Ursache für die beobachtete Wirkung“ fragt Cryan. „Sind es bestimmte Stoffwechselprodukte, die im Mikrobiom entstehen – oder ist es vielleicht ihr Fehlen – und wenn ja, ließen sich diese Substanzen z.B. mit Hilfe von Antibiotika substituieren?“ Bis dereinst vielleicht irgendwann einmal Prä- oder Probiotika Psychopharmaka ergänzen oder ersetzen, werden noch viele Jahre vergehen.
 
docFood meint
Wenn es um den möglichen therapeutischen Nutzen der Mikrobiata geht, entspringen viele Ideen von Medizinern und ERnährungstherapeuten noch dem Reich der Phantasie. Andererseits ist heute schon viel möglich – z.B. durch den Einsatz von Pre- und Probiotika im Bereich der gastroenterologischen Erkrankungen. Was alles möglich ist, darum geht es gerade mal wieder im freiraum: Im Seminar “Mikrobiota und Ernährung” geben die Oecotrophologinnen Dr. Maike Groeneveld und Ute Körner eine aktuellen Überblick über den Stand der Wissenschaft und die derzeitigen Ansatzpunkte in der therapeutischen Praxis.

 Dr. Friedhelm Mühleib

Metformin: Diabetesmedikament verändert Darmflora

Ernährungsfachkräfte kennen das: Diabetiker, die Metformin einnehmen, kommen mit hartnäckigen Magen-Darm-Beschwerden wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen in die Beratung. Beschwerden im Gastrointestinaltrakt gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen des blutzuckersenkenden Medikamentes. Wie Untersuchungen von Wissenschaftlern am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg zeigen, könnten die Ursache sowohl für die Wirkung als auch für die Nebenwirkungen des Arzneistoffs von der Darmflora vermittelt sein. Aus den Ergebnissen leiten die Wissenschaftler die Hoffnung ab, dass sich durch die Beeinflussung der Darmflora Nebenwirkungen  des Metformins und auch anderer Medikamente minimieren lassen.   
 
Die Forscher um Studienleiter Peer Bork und Oluf Pedersen verglichen Stuhlproben von mehr als 700 Personen, unter ihnen sowohl Patienten mit Diabetes Typ 2 als auch gesunde Probanden. Dabei stellte sich das Team unter anderem die Frage, ob sich anhand der Zusammensetzung der Mikroben im Stuhl mit Sicherheit bestimmt lässt, ob ein Mensch an Diabetes erkrankt ist. Dabei machten die Wissenschaftler eine interessante Entdeckung: Es gibt demnach zwar offensichtlich keine spezifische Diabetiker-Darmflora – es sei denn, sie nehmen das Medikament Metformin. Mit Metformin behandelte Patienten, hatten wesentlich mehr Escherichia coli Bakterien und weniger I. Bartletti Bakterien als Gesunde und andere Patienten, die kein Metformin nahmen.
 

Medikamente: Bakterien reagieren empfindlich

“Es überrascht, dass ein einzelnes Medikament eine solch  deutliche Veränderung der Darmflora bewirken kann,” so Peer Bork, Studienleiter  am EMBL. Bedenkt man, wie viele Medikamente es gibt und wie viele Menschen täglich mehrere Medikamente einnehmen, wird Borks Ansicht nach deutlich: Wenn nur ein Bruchteil der Medikamente eine solche Wirkung hat, könnte dadurch die Darmflora entscheidend verändert werden.  Damit ist nach Borks Ansicht klar: “Die Ergebnisse veranschaulichen einmal mehr: Wir sind nicht allein. Die Medikamente, die wir einnehmen, haben nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf uns selbst. Sie können auch einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere mikrobiellen ‚Mitbewohner’ haben!“
 

Darmflora – Ansatz für neue Therapien

Die Annahme, dass die offensichtlichen Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmflora  auch Auslöser für einige der Nebenwirkungen von Metformin sind – speziell der Magen-Darm-Beschwerden – bietet für die Wissenschaftler Perspektiven auf ganz neue Therapien.  Kristoffer Forslund aus der Forschungsgruppe von Peer Bork meint: “Wenn man die Nebenwirkungen minimieren möchte, könnte die Darmflora ein Ansatzpunkt sein!” Es wäre durchaus denkbar – so der Wissenschaftler – dass Patienten, die Metformin nehmen, eines Tages zum Beispiel einen Joghurt oder ein Nahrungsergänzungsmittel bekommen, um ihre Darmflora im Gleichgewicht zu halten.
 

Tipp von docFood

Am kommenden Wochenende sind die Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Darmflora wieder Thema eines Fachseminars für Ernährungsfachkräfte im freiraum. Dr. Maike Groeneveld,  Ernährungswissenschaftlerin, Douentin und Fachautorin mit eigener Praxis in Bonn und Dipl. oec. troph. Ute Körner Ernährungstherapeutin, Fachdozentin und   Buchautorin mit eigener Praxis in Bornheim referieren zum Thema “Mikrobiota und Ernährung”, bei dem die Rolle der Mikrobiota bei Diabetes ein wichtiger Teilaspekt ist. Das Seminar ist leider bereits ausgebucht. Interessierte können sich für den nächsten Termin vormerken lassen.

 Dr. Friedhelm Mühleib