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Wie gefährlich Mineralöl wirklich ist

..und was die Diskussion über Mineralöl in Lebensmitteln mit dem Smog in Peking zu tun hat, erfahren Sie hier. Wieder einmal müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: Wie gefährlich sind eigentlich unsere Lebensmittel? Foodwatch hat Lebensmittel auf Mineralölrückstände untersucht und warnt nun vor verschiedenen belasteten Produkten. Es handelt sich dabei ausschließlich um Trockenprodukte: Gries, Reis, Flocken, Nudeln, und Cornflakes. Doch worum geht es dabei eigentlich genau? Wie kommt Mineralöl in die Lebensmittel hinein? Und wie gefährlich ist das wirklich? Hier die Antworten von docFood
 

Worum also geht es?

Im Ölzeitalter sind Mineralöle überall – zumindest Spuren davon sind fast allgegenwärtig. So gibt es eine gewisse Grundbelastung der Umwelt mit Mineralölen. Wo Lebensmittel verarbeitet werden, kommen auch Mineralöle zum Einsatz – etwa als Schmier- und Hydrauliköle bei Ernte- oder Produktionsmaschinen, zur Behandlung von Jutesäcken, in denen Kakaobohnen transportiert werden oder als Staubbinder zur direkten Behandlung der Ernte. Mineralöle werden heiß, verbrennen und verdampfen – flüchtige Stoffe entweichen daraus – und können so in Kontakt mit den Lebensmitteln kommen. Wenn nun von Gefahren aus Rückständen die Rede ist, geht es vor allem um bestimmte Gruppen von aromatischen Kohlenwasserstoffen – so die chemische Bezeichnung: MOSH (Mineral Oil Saturated Hydrocarbons) und MOAH (Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons) identifiziert wurde – und vor allem die MOAH stehen unter dem Verdacht, stark krebserregend zu sein.
 

Wie kommt das Mineralöl in die Lebensmittel?

Man höre und staune: In erster Linie aus dem Verpackungsmaterial. Foodwatch erklärt: „Viele Lebensmittel stecken in Verpackungen aus Altpapier. Papier wieder zu verwerten ist zwar gut für die Umwelt, bringt aber bei der Verwendung als Lebensmittelverpackung gesundheitliche Risiken mit sich: Denn Altpapier enthält Mineralöle aus Druckfarben, die aus der Verpackung ins Lebensmittel übergehen. Mineralöle und andere Stoffe können entweder durch den direkten Kontakt oder über die Gasphase, also durch die sogenannte Migration, in das verpackte Lebensmittel übergehen. Wie viel der gefährlichen Stoffe migrieren, hängt vor allem davon ab, wie lange das Lebensmittel gelagert wird und wie es beschaffen ist.“ Die Verbraucherzentrale Hamburg schreibt dazu: „Reis, Nudeln, Backmischungen, Semmelbrösel oder Popkorn für die Mikrowelle werden in Kartonverpackungen angeboten, die oft deutlich zu hohe Mineralölanteile enthalten. Diese Mineralölgemische, die z. B. aus Druckfarben von Zeitungen, Werbeprospekten oder anderen Kartonverpackungen stammen, gehen in die Lebensmittel über. Je länger sie gelagert werden, umso mehr. Mineralöle können negative Langzeitwirkungen im Körper haben und treiben den Experten die Sorgenfalten ins Gesicht. So können in der Leber, in Lymphknoten oder in den Herzklappen Entzündungen ausgelöst werden, ein Krebsrisiko ist nicht auszuschließen.“
 

Wie gefährlich sind die Rückstände aus Mineralöl wirklich 

Dazu schreibt das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) . „Kürzerkettige gesättigte Kohlenwasserstoffe (MOSH) werden vom Körper aufgenommen und können in einigen Organen gespeichert werden. Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass derartige Mineralölgemische zu Ablagerungen und Schäden in der Leber und den Lymphknoten führen können. Die genaue Zusammensetzung der Stoffgemische in Druckfarben, insbesondere der Fraktion, die aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen (MOAH) enthält, ist nicht bekannt. Zu der die MOAH-Fraktion ausmachenden komplexen Mischung aus überwiegend alkylierten aromatischen Kohlenwasserstoffen können auch krebserzeugende Substanzen gehören. Grundsätzlich sind solche Kontaminationen von Lebensmitteln unerwünscht. Aus Sicht des BfR sollten daher die Übergänge von Mineralöl aus Recyclingpapier und -pappe auf Lebensmittel minimiert werden. Neben MOSH und MOAH können in Lebensmitteln auch aus Polyolefinen stammende Oligomere, sogenannte POSH („polyolefin oligomeric saturated hydrocarbons“) enthalten sein, wenn diese in Behältern aus bestimmten Kunststoffen aufbewahrt werden oder mit bestimmten Kunststofffolien verpackt sind.
 

Bedrohen die belasteten Lebensmittel die Gesundheit der Verbraucher

Sie allein sicher nicht. Mineralöl-Gehalte in Lebensmitteln allein stellen unter Zugrundelegung üblicher Verzehrsgewohnheiten und bisher gefundener Rückstandsmengen keine akute Gesundheitsgefährdung dar. Definitiv kann diese Frage schließlich nur vor dem Hintergrund der Gesamtaufnahme von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) beurteilt werden. Wie hoch diese ist, weiß die Wissenschaft derzeit nicht. Wichtig für Verbraucher: Wir sind permanent und überall von diesen Stoffen umgeben, wie eine Studie des Umweltbundesamtes deutlich macht: Ein großer Teil der PAK gelangt bereits durch Naturprozesse, wie Waldbrände oder Vulkanausbrüche, die nicht vom Menschen beeinflussbar sind, in die Atmosphäre. Auch die meisten von Menschen verursachten Emissionen aus Verbrennungsprozessen sind belastet. Im Ruß von Dieselmotorabgasen, etwa von Autos und LKWs, aber auch von Dieselzügen, Schiffen oder großen Maschinen sind PAK enthalten. Tabakrauch ist ebenfalls eine wesentliche Quelle für PAK. Auch Nahrungsmittel enthalten sie, zum Beispiel geräucherte und gegrillte Speisen oder Kakao und Schokolade. Teeröle, erdölbasierte Weichmacheröle und Industrieruße werden zum Teil in Produkten aus Gummi oder Weich-PVC verwendet. PAK gelangen durch Stäube, an die sie gebunden sind, sowie durch Abrieb von Gummiprodukten, zum Beispiel von Autoreifen, in die Umgebungsluft. 2010 wurden in Deutschland 191,5 Tonnen PAK in die Luft emittiert, davon ca. 93% von kleinen und mittleren Feuerungen in Haushalten und im Gewerbe, knapp 5% kommen aus Industrieprozessen, der Rest aus Großfeuerungsanlagen und dem Verkehr (weniger als 1%).
 

docFood meint

Vor dem Hintergrund dieser Dauerbelastung, vor der es kaum ein Entrinnen gibt, dürfte die gesundheitliche Bedrohung durch die Aufnahme von MOSH/MOAH kaum ins Gewicht fallen. Wer sich über MOSH und MOAH in Lebensmitteln aufregt, ohne auf die Gesamtbelastung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen aus unserem ‚ölverseuchten‘ Lebensstil einzugehen, springt zu kurz und sieht den Wald hinter ein paar kleinen Bäumen nicht mehr. Ein Blick auf die Menschen im Smog von Peking kann uns zeigen, wo der Kohlenwasserstoff-Hammer hängt.

 Dr. Friedhelm Mühleib

Foodwatch macht mobil gegen Mineralöl

Ende Oktober veröffentlichte die Verbraucherorganisation Foodwatch eine Liste mit Produkten, die Rückstände aus Mineralöl aufwiesen. Foodwatch zufolge war in Deutschland jedes fünfte getestete Produkt (9 von 42) mit Mineralöl-Rückständen belastet. Bei den betroffenen Produkten handelt es sich um pflanzliche Trockenprodukte: Reis, Nudeln, Haferflocken, Weizengrieß und Cornflakes. Foodwatch warnt vor dem Verzehr aller Produkte, bei denen in den getesteten Proben Rückstände von Mineralöle nachgewiesen wurden, und forderte Hersteller und Handel auf, Rückrufe zu veranlassen.
 

Verzehrswarnungen von foodwatch

Betroffen sind neben dem Hersteller Euryza, dessen belastete Reis-Marke reis-fit bei den meisten Händlern weiter im Regal steht, noch sieben andere Produkte: ●reis-fit Spitzen-Langkornreis ● Müller’s Mühle Minuten Spitzen Langkorn Reis ● Korn Mühle Weichweizen-Grieß ● Rewe Bio Weichweizengrieß ● Kellogg’s Cornflakes ● Jonas Rote Linsen ● Hahne Haferflocken ● Sweet Family Puder Zucker (Nordzucker). Inzwischen haben verschiedene Hersteller und Händler reagiert. So hat der italienische Hersteller Curti den bei Kaufland vertriebenen und ebenfalls mit Rückständen aus Mineralölen belasteten „Curtiriso Langkorn-Naturreis“ aus dem Verkauf genommen. Die Handelskette Real hat auf die Warnung von foodwatch hin den Reis-fit Lankornreis aus den Regalen genommen und ausgelistet.
 

Streit mit REWE eskaliert

Andere Anbieter sehen dagegen keinen Handlungsbedarf. So hat REWE einen von foodwatch beanstandeten Bio-Weichweizengrieß als „unbedenklich“ eingestuft und foodwatch mit „rechtlichen Schritten“ gedroht. „Rewe behält sich ausdrücklich vor, im Sinne der Verbraucher rechtliche Schritte zu prüfen“, schrieb das Unternehmen am Donnerstag auf seiner facebook-Seite. Jetzt eskaliert der Streit: Nachdem Rewe selbst bislang nicht aktiv wurde, hatte foodwatch selbst einen öffentlichen Rückruf verbreitet sowie den Verbrauchern empfohlen, bereits gekaufte Grieß-Packungen in ihre Rewe-Filialen zurückzubringen und dort den Einkaufspreis zurückzuverlangen.
 

Sind die Warnungen unverhältnismäßig?

Der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) als Vertretung der Lebensmittelwirtschaft wirft foodwatch ein unverhältnismäßiges Vorgehen vor: Foodwatch beurteilt demnach abweichend von objektiven, wissenschaftlichen Einschätzungen einzelne Produkte als gefährliche Lebensmittel: „Es ist unverantwortlich, dass Foodwatch ein seit fünf Jahren erfolgreich bearbeitetes Thema skandalisiert und Anlass sieht, vor Produkten zu warnen, die längst bezüglich des Risikos minimiert sind.“ Nach Ansicht des BLL sollten Verbraucher nach den Regeln für öffentliche Lebensmittelwarnungen nur dann vor Lebensmitteln gewarnt werden, wenn diese eine akute Gesundheitsgefahr bedeuten können. Verunsichernde Aktionen zur „Warnung“ vor rechtmäßigen, unbedenklichen Produkten hält der BLL für gefährlich und bedenklich: Sie „verletzen die Grundsätze des verantwortlichen Umgangs mit Lebensmitteln und verwässern die Wahrnehmung des Verbrauchers für tatsächlich begründete Warnungen.“
 

docFood meint

Die in Lebensmitteln nachweisbaren Mineralöl-Rückstände stehen unter Verdacht, krebserregend und erbgutverändernd zu sein sowie das Hormonsystem zu beeinflussen. Im Grunde ist der aktuelle Streit nur deswegen möglich, weil es immer noch keine gesetzlichen Höchst- bzw. Grenzwerte in Lebensmitteln gibt – obwohl Verbraucherschützer das seit Jahren fordern. Es gibt zwar sogenannte Richtwerte – die sind allerdings rechtlich nicht verbindlich. Nahezu alle Produkte in der Foodwatch-Untersuchung aus dem deutschen Handel halten die im Entwurf der „Mineralölverordnung“ vorgeschlagenen Richtwerte ein. Wie in Deutschland üblich, sind diese Richtwerte mit hohem Sicherheitsabschlag kalkuliert: Auch wenn ein Lebensmittel den Wert um bis zum doppelten übersteigt, besteht noch lange keine Gefahr für Leib und Leben.  So besteht beim Verzehr eines der von foodwatch monierten Produkte in haushaltsüblichen Mengen ein allenfalls ein minimales theoretisches Risiko, dass auf Grund fehlender Forschung derzeit nicht einmal beziffert werden kann. Weil dieses Risiko jedoch nicht ganz auszuschließen ist, gilt grundsätzlich: Da sich bei krebserregenden Substanzen keine gesundheitlich unbedenkliche Aufnahmemenge definieren lässt, sollten Lebensmittel möglichst null Rückstände aus Mineralöl enthalten (mehr Hintergrund zur Bewertung des Rückstandsprobleme und zum Streit um Mineralöl in Lebensmittel gibt es auf dem tellerand-Blog zu lesen.)

 Dr. Friedhelm Mühleib

Foto: reishunger.de