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Adipositas: Therapie braucht den Blick auf das Stigma

Neujahr – Zeit der guten Vorsätze.  Für viele Menschen mit Übergewicht und Adipositas steht ein großer Wunsch im Vordergrund: „Abnehmen! Ich will endlich normales Gewicht!“ Im Innersten zweifeln diese Menschen häufig daran, dass dieser Wunsch jemals Wirklichkeit wird. Ein Zweifel, der nicht nur von vielen gescheiterten und vergeblichen persönlichen Abnehm-Versuchen genährt wird: Dick-Sein ist mit einem Stigma belegt ist. Es lähmt die Betroffenen wie eine Fessel, aus der es aus eigener Kraft keine Befreiung gibt.
 
Der Druck, unter den die Stigmatisierung die Betroffenen setzt, ist nach Ansicht der Psychotherapeutin und Adipositas-Expertin Prof. Claudia Luck-Sikorski ein Hauptgrund für das Scheitern vieler Ansätze der klassischen Adipositastherapie auf der Basis von Ernährungsumstellung und Diäten. Nach Meinung der Professorin für Psychische Gesundheit und Psychotherapie an der Hochschule für Gesundheit Gera wäre ein Verzicht auf die bisher üblichen Schuldzuweisungen vor jeder Diät Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie: „Sie gefährden den Erfolg der Behandlung. Solange wir auf dem Einzelnen herumhacken und sagen, dass der sich eigentlich nur ändern muss, um das Problem Übergewicht zu lösen – solange wird es keine echten Lösungen dafür geben.“
 

Adipositas – ein menschlicher Makel?

Ein Stigma ist ein ‚menschlicher Makel‘, der Einzelnen oder Personengruppen von ihrer Umgebung zugeschrieben wird. Wenn Menschen, die in bestimmten Eigenschaften von der gesellschaftlichen Norm abweichen, von ihrer Umgebung diskreditiert werden, kann daraus für die Betroffenen ein Stigma entstehen. Wenn Dicke z.B. verbreitet als willensschwach, hässlich, zügellos, unberührbar und faul gelten, sind das Zuweisungen, die Übergewicht und Adipositas zum Kainsmal machen, zum sichtbaren äußeren Zeichen all dieser unerwünschten Eigenschaften. Folge dieser verallgemeinernden Zuschreibung sind oft Vorurteile, die nicht selten in Diskriminierung münden. So wird Adipositas zum Stigma, das bei Betroffenen großen Leidensdruck auslösen kann, im Extremfall vergleichbar vielleicht mit dem Gefühl, ein Aussätziger zu sein.
 

„Friss einfach weniger!“

Wie sich das anfühlt? „Alle Dicken sind derselben Ausgrenzung unterworfen. Jeder hat das Recht, sie zu verachten. Und wenn sie sich darüber beklagen, wie man sie behandelt, denken eigentlich alle dasselbe: Friss weniger, Fettsau, dann kannst du dich auch integrieren.“ Deutlicher lässt sich das Stigma Adipositas wohl kaum beschreiben. Das Zitat stammt von einer der Figuren in „Vernon Subutex“, dem jüngsten Roman der französischen Schriftstellerin Virginie Despentes, die von der Kritik in Frankreich und Deutschland gerade begeistert gefeiert wird. Die Autorin lässt  ihre Protagonistin weiter über ihr Schicksal als ehemals dicke Jugendliche reflektieren:  „Mit den Dicken kann man sich alles erlauben. Sie in der Kantine anmotzen, sie beschimpfen, wenn sie auf der Straße essen, ihnen gemeine Spitznamen geben, sie auslachen, wenn sie Fahrradfahren, sie ausgrenzen, ihnen Diätempfehlungen geben, ihnen sagen, sie sollen still sein, sobald sie den Mund aufmachen, sie auslachen wenn sie gestehen, dass sie gern jemandem gefallen würden, das Gesicht verziehen, wenn sie irgendwo aufkreuzen. Man kann sie schubsen, in den Wanst kneifen oder mit Füßen treten: Niemand wird sie verteidigen.“  Anschaulicher lässt sich das Stigma wohl kaum beschreiben.
 

Adipositas braucht neue Therapieansätze

Despentes‘ übergewichtige Jugendliche schafft es schließlich mit professioneller Hilfe. „Mit 17 stieß sie eine höchst diktatorische Ernährungsberaterin auf das Gleis einer drakonischen Diät. Sie war jemand, der fünf Jahre immer auf dem Bahnsteig stehen geblieben ist – diesmal funktionierte es, warum auch immer: diesen Zug nahm Sie mit, und nach sechs Monaten war sie ein anderer Mensch. ….In sechs Monaten hatte sie 18 Kilo abgenommen.“  Wie schön, dass es – warum auch immer – funktioniert hat. Im richtigen Leben funktioniert der Weg über drakonische Diäten tatsächlich nur selten. Prof. Luck-Sikorski : „Man kann diesen Menschen kein Konzept nach dem Muster präsentieren: ‚Jetzt mach halt dies oder das, dann wird das schon klappen bei dir.‘ Die Therapie muss komplett weg von der Belehrung! Diesbezüglich läuft momentan aber noch vieles schief. Das Problem ist so höchst individuell, dass diese einfachen Lösungen zum Scheitern verurteilt sind. Und sie scheitern ja auch tatsächlich. Immer wieder! Ernährungstherapie für adipöse Menschen sollte grundsätzlich auf der Basis einer Therapeutischen Allianz stehen, wie wir sie aus der Psychotherapie kennen: Als respekt- und vertrauensvolle Zusammenarbeit von Therapeut und Patient bei gemeinsamer Definition des Therapiezieles und des Weges dorthin.“

Dr. Friedhelm Mühleib

Mehr zum Thema: Interview mit Prof. Luck-Sikorski im tellerrandblog

Veranstaltung: Unter dem Titel „Adipositas – ein menschlicher Makel“ vermittelt Prof. Luck-Sikorski im Februar praxisorientierte Maßnahmen und Methoden zum Umgang mit der Stigmaproblematik für Fachkräfte der Ernährungsberatung.  Das Tagesseminar findet in der Reihe „Fachseminare für Ernährungsprofis“ im Seminarhaus freiraum statt.
Beitragsfoto: Copyright Jana Hesse/DAK-Gesundheit

Stigma: So werden dicke Menschen ausgegrenzt

Für die meisten Menschen mit Übergewicht und Adipositas wird das neue Jahr vermutlich nicht leichter. Vor allem fettleibige Menschen werden in Deutschland häufig stigmatisiert und ausgegrenzt. 71 Prozent der Bevölkerung finden stark Übergewichtige unästhetisch. Jeder Achte vermeidet bewusst Kontakt zu Betroffenen. Das zeigt die Studie „XXL-Report: Meinungen und Einschätzungen zu Übergewicht und Fettleibigkeit“ im Auftrag der DAK-Gesundheit .
 
Nach den Ergebnissen der repräsentativen Forsa-Untersuchung im Auftrag der Krankenkasse im Jahr 2016 glaubt die Mehrheit der Befragten, dass Fettleibige selbst schuld an den überflüssigen Pfunden und zu faul zum Abnehmen sind. Dabei ist Adipositas eine Volkskrankheit, die durch viele Faktoren entsteht.
 

Jeder Achte vermeidet Kontakt zu Übergewichtigen

Fettleibige Menschen leiden hierzulande nicht nur gesundheitlich. Sie haben darüber hinaus mit psychosozialen Beeinträchtigungen wie Ausgrenzung und Stigmatisierung zu kämpfen. Nach den Ergebnissen des „XXL-Report“ der DAK-Gesundheit wird leichtes Übergewicht in unserer Gesellschaft meist noch akzeptiert und zum Teil sogar positiv bewertet. Ganz anders sieht es bei Fettleibigkeit aus: 71 Prozent der Deutschen finden fettleibige Menschen unästhetisch. Von dicken Menschen sagen das „nur“ 38 Prozent. Übergewichtige gelten oft auch als lustig (35 Prozent). Von fettleibigen Menschen sagen dies lediglich 13 Prozent. Findet noch fast jeder Zweite (43 Prozent) dicke Menschen gesellig, trifft das auf Adipöse nur mit 13 Prozent zu. Und: Jeder Achte (15 Prozent) vermeidet sogar bewusst den Kontakt zu ihnen.
 

Übergewicht? Selbst schuld!

 Deutlich werden Vorurteile auch, wenn es um mögliche Gründe für das starke Übergewicht geht. Fast jeder Zweite (47 Prozent) meint, dass Bewegungsmangel und vieles Sitzen schuld daran seien. 33 Prozent gaben falsche beziehungsweise ungesunde Ernährung an. Auch Fast Food (31 Prozent), Fertigprodukte (23 Prozent) sowie Zeitmangel und Bequemlichkeit (20 Prozent) gelten bei vielen als Auslöser von Adipositas. Hingegen scheinen gesundheitliche Gründe wie Stoffwechselstörungen oder genetische Disposition in der Öffentlichkeit gar keine Rolle zu spielen. „Mit einfachen Schuldzuweisungen Betroffenen gegenüber kommen wir nicht weiter, im Gegenteil“, sagt Claudia Luck-Sikorski. Die Professorin für Psychische Gesundheit und Psychotherapie an der Hochschule für Gesundheit in Gera unterstützt die aktuelle Untersuchung und unterstreicht: „Ausgrenzung und Stigmatisierung verschlimmern die Lage der Betroffenen. Sie können wie ein chronischer Stressor wirken, der krank machen kann.“
 
 
 

Nachteile im Alltag und Job

Wenn es um Einschränkungen oder Benachteiligungen von adipösen Menschen geht, sind 85 Prozent der Deutschen der Meinung, adipöse Menschen seien gesundheitlich eingeschränkt. 71 Prozent gaben Probleme in der Mobilität an, beispielsweise beim Laufen oder Anziehen. Jeder Zweite sagt, fettleibige Menschen seien sozial weniger anerkannt. 44 Prozent vermuten Nachteile in Beruf und Karriere aufgrund der vielen Pfunde. Auch insgesamt spielt das Gewicht bei den meisten Menschen eine große Rolle. Laut Ergebnissen des DAK-Reports halten sich 60 Prozent der Deutschen für zu dick. Mehr als jeder Dritte (37 Prozent) sorgt sich ständig, zu dick zu sein oder übergewichtig zu werden. Mehr als jeder Fünfte (22 Prozent) hat schon mal versucht, durch Fasten oder Intensiv-Diäten abzunehmen.  In Deutschland ist jeder vierte Erwachsene zwischen 18 und 79 Jahren adipös. Das sind 16 Millionen Menschen. Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen. Der Anteil der Patienten mit extremer Adipositas (BMI über 40) hat sich im Zeitraum 1999 bis 2013 mehr als verdoppelt. Studien belegen, dass Adipositas als Auslöser für mehr als 60 Begleiterkrankungen gilt.
 

docFood meint

Als Konsequenz aus den Ergebnissen der Studie startete die DAK die bundesweite Kampagne “schwere(s)los”, um bundesweit über Adipositas aufzuklären und Vorurteile zu entkräften. Zudem forderte die DAK Ende 2016,  im Kampf gegen die Fettleibigkeit zunächst Adipositas als behandlungsbedürftige chronische Erkrankung anzuerkennen. Alle Patienten mit einem BMI von mehr als 30 sollten Anspruch auf eine Erstuntersuchung durch einen Arzt haben, der ernährungsmedizinisch qualifiziert ist. Dieser könnte eine Ernährungstherapie begleiten. Danach sollte es je Quartal drei Folgetermine geben sowie sechs Termine mit einer Ernährungsfachkraft, um mit dem Patienten eine bessere Ernährung zu planen und konkrete Ziele zu vereinbaren. Daraus ist bis heute nichts geworden – zum Leidwesen der Betroffenen. Nach Meinung von Prof. Luck-Sikorski wäre eine “Entstigmatisierung” vor jeder Diät Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie: „Schuldzuweisungen gefährden den Erfolg der Behandlung. Solange wir auf dem Einzelnen herumhacken und sagen, dass der sich eigentlich nur ändern muss, um das Problem Übergewicht zu lösen – solange wird es keine echten Lösungen dafür geben.“

 Redaktion

Beitragsfoto: Copyright Melina Hipler/DAK-Gesundheit

Quelle: DAK Gesundheit, Materialien zur Kampagne SCHWERE[S]LOS
 
Mehr zum Thema: Unter dem Titel „Adipositas – ein menschlicher Makel“ referiert Prof. Luck-Sikorski im Februar in der Seminarreihe „Fachseminare für Ernährungsprofis“ im Seminarhaus freiraum über Stigma und Übergewicht / Adipositas. Dabei geht es vor allem auch um Ansätze für die Ernährungsberatung. Unter anderem werden gemeinsam Möglichkeiten erarbeitet, den Umgang der Betroffenen mit dem Stigma zu erleichtern.

Diabetes: Skalpell statt Medikamente?

Die chirurgische Magenverkleinerung könnte für Typ 2-Diabetiker mit Adipositas in Zukunft zu einer therapeutischen Standard-Option werden. Dafür haben sich Experten internationaler Diabetesorganisationen  im Rahmen des 2nd Diabetes Surgery Summit in London ausgesprochen.  Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, haben sie schon mal entsprechende Leitlinien formuliert .
 
Nach einem Bericht im Online-Portal der Ärztezeitung sehen die Experten vom “2nd Diabetes Surgery Summit” eine überlegenen Wirksamkeit der metabolischen Chirurgie gegenüber medikamentöser Therapie.
 

Operation bereits ab einem BMI von 30

Ein bariatrischer Eingriff sollte demnach generell allen Typ-2-Diabetiker mit einem BMI ab 40 empfohlen werden, ebenso bei einem BMI ab 35, wenn sich der Blutzucker mit Arzneien und Lebensstiländerungen nicht befriedigend senken lässt. Wenn Betroffene den Blutzucker durch optimale medikamentöse Therapie einschließlich Insulin nicht in den Griff bekommen, sollte ein solcher Eingriff bereits bei einem BMI ab 30 erwogen werden. Zur Begründung der neuen Konsens-Empfehlungen beriefen sich die Experten unter anderem auf neue Langzeitdaten der STAMPEDE-Studie: Übergewichtige Zuckerkranke mit chirurgischer Magenverkleinerung bekamen in dieser Untersuchung binnen fünf Jahren ihren Stoffwechsel deutlich besser in den Griff als Patienten mit ausschließlich medikamentöser antidiabetischer Therapie.
 

docFood meint:

Derzeit gibt es ca. 6 Millionen Diabetiker in Deutschland, von denen 80 bis 90% übergewichtig sind. Der Anteil von adipösen Patienten darunter ( d.h. mit einem BMI über 30) dürfte erheblich. Um alle adipösen Diabetiker zu operieren, die unter die Kriterien des Londoner Experten-Konsenses fallen, müssten wahre Operations-Fabriken installiert werden. Die Zahl der Diabetiker, die demnach operiert werden sollten, dürfte weit mehr als eine Million betragen.  Operiert und kassiert ist schnell. Von der  eventuell lebenslang notwendigen postoperativen  Betreuung – etwa zur Vermeidung oder Behandlung der häufigen ernährungsbedingten Mangelerscheinungn bzw. von eventuellen Spätfolgen und/oder vom erneuten Auftreten des Diabetes mit allen entsprechenden Konsequenzen ist in dem Bericht keine Rede. Auch in Deutschland gibt es derzeit einen deutlichen Trend, immer mehr adipöse Diabetiker zu operieren. Bevor immer mehr Krankenhäuser Operationsfabriken als Profit-Center etablieren, bedarf es noch vieler kritischer Analysen und Diskussionen zum vermeintlichen Nutzen des Verfahrens.

  Dr. Friedhelm Mühleib

Adipositas und Depression: Die Mär von den fröhlichen Dicken

Man wünschte sich so, dass es stimmt, das Bild von den fröhlichen Dicken. Denn mit Fröhlichkeit ließe sich sogar Übergewicht leichter ertragen. Die Realität der Adipösen hält diesem Wunschbild leider nicht stand. In Deutschland ist etwa jeder vierte bis fünfte Mensch mit Adipositas (starkem Übergewicht) depressiv. Bei rund 20 Mio. schwer Übergewichtigen sind heute rund 4-5 Mio. Menschen von beiden Krankheiten zugleich betroffen.
 
Auf den Zusammenhang zwischen Adipositas und Depression machte die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) jüngst anlässlich des Welt-Gesundheitstags 2017 mit dem Schwerpunkt Depression aufmerksam, verbunden mit der Forderung nach mehr Kooperation der an Behandlung und Betreuung beteiligten Therapeuten.
 

Betroffene sind doppelt stigmatisiert

Betroffene haben nicht nur im doppelten Sinn ein schweres Los – sie sind auch noch einer doppelten gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt. Auch im Gesundheitswesen ist eine gewichtsbezogene Stigmatisierung und Diskriminierung adipöser Menschen leider verbreitet; kommen die Symptome einer Depression hinzu, ist die Versorgung oft erst recht unzureichend. „Es  ist wichtig, diese doppelte körperliche und psychische Belastung therapeutisch angemessen zu aufzufangen. Dazu müssen Adipositastherapeuten, Psychosomatiker, Psychiater und Psychologen besser qualifiziert werden und wirkungsvoller miteinander kooperieren. Ein Experte für psychische Probleme gehört an jedes Adipositas-Therapie-Zentrum“, fordert Professor Dr. med. Martina de Zwaan, Vizepräsidentin der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG).
 

Verstärken sich gegenseitig: Adiposita und Depression

Schweres Übergewicht und Depression bedingen und fördern sich gegenseitig; die Wahrscheinlichkeit für eine Depression steigt mit zunehmendem Body-Mass-Index. Ein Mensch mit schwerem Übergewicht hat eine um 50% höhere Chance depressiv zu werden als ein Mensch ohne schweres Übergewicht. Ebenso hat ein depressiver Mensch eineum 50% höhere Chance schwer übergewichtig zu werden. Eine depressive Symptomatik erschwert eine erfolgreiche Adipositastherapie zusätzlich. Sie macht sich meist bemerkbar durch ein mindestens zwei Wochen andauerndes Stimmungstief; Betroffene ziehen sich aus sozialen Beziehungen zurück, leiden unter Schlafstörungen und Lustlosigkeit und haben womöglich suizidale Gedanken oder Tendenzen.
 

Ganzheitliche Behandlung nötig

Beide Erkrankungen sollten entsprechend der jeweiligen Leitlinien getrennt, aber nicht losgelöst voneinander behandelt werden: „Mediziner und Psychologen müssten schon im Studium besser auf übergewichtige Patienten vorbereitet werden – immerhin ist die Mehrheit der Bevölkerung bereits übergewichtig und ein Viertel adipös“, betont de Zwaan. Ein Psychosomatiker, Psychiater oder ein Psychologe, der die Depression behandelt, habe in der Regel wenig Ahnung von leitliniengerechter Adipositastherapie und bekomme das auch nicht bezahlt, erläutert die Psychosomatikerin. Mit fortschreitender Gewichtsabnahme werde eine Depression zwar besser, aber nur vorübergehend. Umgekehrt führe auch eine erfolgreiche Behandlung der Depression allein noch nicht automatisch zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion. „Die Behandler müssen zum Wohle des Patienten kooperieren und sich ergänzen. Wichtig ist z.B., dass der behandelnde Psychosomatiker oder Psychiater keine Antidepressiva verordnet, die Gewichtszunahmen fördern“, erläutert de Zwaan.
 

Therapeuten fehlen oft Motivation und Empathie

Nach Informationen des Kompetenznetzes Adipositas sind selbst bei auf Gewichtsreduktion spezialisierten Ärzten und Ernährungsfachkräften stigmatisierende Einstellungen adipösen Patienten gegenüber keine Seltenheit. Aufgrund negativer Annahmen (z.B. fehlende Willensschwäche und Selbstkontrolle, geringe Hygiene, mangelnde Motivation und Compliance …), werde die Behandlung schwer Übergewichtiger oft als wenig aussichtsreich eingeschätzt. Oftmals bestehe eine geringere Motivation, Patienten mit Adipositas zu helfen; Ärzte fühlen sich dafür häufig nicht qualifiziert genug und gewähren ihnen weniger Behandlungszeit. Dies könnte dazu beitragen, dass Patienten mit Adipositas es vermeiden, Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, außerdem verschieben sie häufiger Arzttermine oder sagen sie ab. „Behandler sollten sich darüber klar sein, dass sie auch durch ihr eigenes Verhalten die Selbstabwertung ihrer Patienten fördern können und so depressive Symptome, Ängste, geringen Selbstwert, Essstörungspathologien, soziale und Verhaltensprobleme und eine verringerte Lebensqualität fördern. Häufig fehlt es schlicht an Fachwissen im angemessenen Umgang mit schwer Übergewichtigen.“, so Prof. de Zwaan. Die Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Hannover fordert in Analogie zur Psychoonkologie – hier ist ein Psychologe für die Zertifizierung von onkologischen Zentren zwingend erforderlich – auch für jedes zertifizierte Adipositaszentrum einen psychologischen Experten.
 

Empfehlung von docFood

Für stark Adipöse gilt inzwischen eine bariatrische Operation als last Exit. Doch gerade auch nach der Operation werden adipöse Patienten z.T. über Jahre von schweren Depressionen gepeinigt. Das von Prof. de Zwaan angemahnte Fachwissen im angemessenen Umgang mit schwer Übergewichtigen – vor und nach der Operation – gehört zu den wesentlichen Inhalten eines Fachseminars für Ernährungsprofis, in dem die Oecotrophologin und Expertin für die Beratung und Betreuung bariatrischer Patienten Dr. Eva Wolf über aktuelle Aspekte der Adipositaschirurgie referiert. Die Teilnehmer proftieren von der außerordentlichen Erfahrung der Referentin, die als Case-Managerin in der Adipositaschirurgie bislang mehr als 2500 Patienten vor und nach dem Eingriff betreut hat und mit ihrem Buch “Case Management in der Adipositaschirurgie” ein Standardwerk zu dem Thema vorgelegt hat.

 Red.

 
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) vom 07. April 2017

Adipositas-OPs: mangelnde Nachsorge gefährdet Erfolg

Immer mehr Menschen leiden in Deutschland an krankhaftem Übergewicht. 2014 mussten sich gut sieben Millionen Menschen wegen Adipositas in Praxen behandeln lassen – 14 Prozent mehr als noch im Jahr 2006. Auch die Zahl der operativen Eingriffe zur Gewichtsreduktion wächst rasant. So hat sich die Anzahl der bariatrischen Operationen im selben Zeitraum bei den BARMER GEK Versicherten auf 1.070 Fälle mehr als versechsfacht und bei allen Krankenkassen auf 9.225 Eingriffe mehr als verfünffacht. Das geht aus dem Report Krankenhaus 2016 der BARMER GEK hervor, den die Krankenkasse aktuell vorgestellt hat.
 

Großer Handlungsbedarf in der Nachsorge

Große Defizite sieht der Report im Bereich der Nachsorge. „Mit einer bariatrischen Operation allein ist es bei weitem nicht getan. Wichtig ist, dass die Menschen in der Folgezeit nicht alleine gelassen werden.“, so Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der BARMER GEK,anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des Reports. „Ein Schlauchmagen hilft wenig, wenn ein Betroffener danach zum Beispiel große Mengen von Sprühsahne isst, um eine Kalorienzahl wie früher zu sich zu nehmen. Auf der anderen Seite kann ein Magen-Bypass einen lebensbedrohlichen Nährstoffmangel nach sich ziehen, weil die Enzyme im Dünndarm kaum mehr Zeit haben, die Nährstoffe zu spalten. Daher brauchen die Betroffenen eine dezentrale und engmaschige Nachsorge mit der Unterstützung von interdisziplinären Teams, auch in den ländlichen Regionen.“ Erklärt Strauch weiter und fügt hinzu: „Die Kliniken sollten hierzu mit den niedergelassenen Ärzten vor Ort interdisziplinäre Nachsorgekonzepte entwickeln. Bei einer bariatrischen Operation und der Nachsorge bedarf es eines langen Atems. So aber besteht eine gute Chance, dass die Patientinnen und Patienten endlich wieder ein deutlich beschwerdefreieres Leben führen können und damit wieder mehr Lebensqualität gewinnen.“
 

docFood meint:

Tatsächlich sollte der „Atem“ in Nachsorge bariatrischer Patienten sehr lange sein – im Grunde braucht es nach einem solchen Eingriff eine lebenslange Betreuung. Eine Betreuung, die vom Hausarzt aus fachlichen und zeitlichen Gründen kaum geleistet werden kann. Hier kommt eine große Aufgabe auf Ernährungsfachkräfte zu. Strauchs Einsicht bezüglich der notwendigen Nachsorge kommt spät – doch spät ist besser als nie. Spät deshalb, weil die Kassen in der Finanzierung einer entsprechenden Nachsorge bisher eher zugeknöpft waren. So umfasst von den Kassen finanzierte Nachsorge in der Regel sechs Untersuchungstermine im ersten Jahr nach der OP, zwei Termine im zweiten Jahr und anschließend eine jährliche Konsultation. Von engmaschiger, lebenslanger Betreuung mit langem Atem kann da wohl nicht die Rede sein. Man darf gespannt sein, ob Strauchs Einsicht nun auch Taten folgen und die nötigen Mittel zur Finanzierung dieser Taten bereitgestellt werden. Die BARMER als eine der größten Ersatzkassen könnte hier ein Zeichen mit Signalcharakter setzen.

 Dr. Friedhelm Mühleib

Antibiotika bei Kindern – heftige Folgen?

Das Mikrobiom – so die medizinische Fachbezeichnung für die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen – reagiert nicht nur auf Veränderungen in der Ernährung äußerst sensibel. Noch heftiger können die Einflüsse von Medikamenten sein, insbesondere von Antibiotika, deren erklärtes Ziel es schließlich ist, Bakterien zu killen. Bereits eine einwöchige Einnahme eines Antibiotikums kann die Zusammensetzung und Aktivität der Darmflora in dramatischer Weise ändern. Dutzende Spezies verschwinden, andere nehmen ihren Platz ein. Das spricht für den sparsamen Einsatz von Antibiotika, insbesondere bei Kindern in den ersten vier Lebensjahren, bei denen sich der lebensbegleitende Bakteriensatz erst noch finden muss.
Wenn Antibiotika die kindliche Darmflora verändern, kann das die frühe Prägung des Immunsystems beeinflussen. Dies könnte nach Ansicht von Medizinern ein wichtiger Faktor für die zunehmende Entwicklung von Allergien oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bei Kindern sein. Versuche an Mäusen legen nun nahe, dass zu Lebensbeginn verabreichte Antibiotika womöglich den gesamten Stoffwechsel und damit die spätere gesundheitliche die Entwicklung der Kinder nachhaltig verändern.
 

Später Schaden: Fettleber und Diabetes?

Nach einem Bericht der WELT stellten Wissenschaftler der New York University School of Medicine in einer Studie fest, dass Antibiotika-Gaben an jungen Mäusen zu einer langfristigen Veränderung der Darmflora und vorübergehend zu stärkerem Knochenwachstum und Gewichtszunahme führten. Natürlich sind die Ergebnisse von Tierversuchen unter Vorbehalt zu sehen. Kinder sind keine Mäuse. Trotzdem ist der Verdacht durchaus angebracht, dass die frühe Behandlung mit Antibiotika der Entstehung von Fettleber und Diabetes im Erwachsenenalter Vorschub leisten könnte.
 

docFood meint:

Experten warnen schon seit Langem vor einem übermäßigen Antibiotika-Einsatz im Kindesalter. Die Studie zeigt, wie berechtigt die Warnung ist. Bundesweit erhält derzeit jedes Kind zwischen drei und sechs Jahren im Schnitt mindestens ein Antibiotikum pro Jahr, und das oft ohne eindeutige Diagnose. Antibiotika werden gerade bei Kindern nicht selten auch bei Virusinfektionen eingesetzt – wo sie völlig wirkungslos bleiben. Ernährungsfachkräfte sollten vor allem bei stark übergewichtigen Kindern auch an ein verändertes Mikrobiom und den unterstützenden Einsatz von Probiotika denken.

Friedhelm Mühleib

Adipositas – süchtig nach Essen?

In der Therapie der Adipositas reicht es nicht, nur auf die bewusste, kognitive Esskontrolle zu setzen. Vor allem über viele Jahre eingeschliffene Essgewohnheiten stark Übergewichtiger lassen sich damit kaum verändern. Hier braucht es therapeutische Ansätze aus dem Umfeld der psychologischen Verhaltenstherapie. Zu diesem Ergebnis kommen Leipziger Wissenschaftler vom Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) für Adipositaserkrankungen.
 
Ähnlich wie im Achtsamkeitstraining muss demnach eine Therapie darauf ausgerichtet sein, dass die Betroffenen Essen neu wahrnehmen und ein neues Bewusstsein dafür entwickeln. Hintergrund dieser Forderung ist die Erkenntnis der Leipziger Forscher, dass es Ähnlichkeiten in der Verarbeitung von Belohnungsreizen bei Adipösen und Drogenabhängigen gibt. Im Gehirn von Menschen mit Adipositas ist genauso wie bei Menschen mit Suchterkrankungen eine verstärkte Aktivität in bestimmten Gehirnarealen als Reaktion auf Essens- beziehungsweise Suchtreize zu beobachten. Dabei steigt der Blut- und Sauerstoffspiegel in der Amygdala, einem Gehirnbereich, der für die Wahrnehmung von Emotionen wie Angst, Erregung, Lust und Belohnung wichtig ist. Die als beglückend-positiv empfundene Reaktion auf Essen kann langfristig zu einem gewohnheitsmäßigen Überessen führen, so die Forscher des IFB.
 

Dicke verfallen eher dem Genuss

Dass Menschen dazu neigen, angenehme Empfindungen zu wiederholen und schließlich als Gewohnheit zu etablieren, ist plausibel. Im Rahmen ihrer Untersuchungen fanden die Wissenschaftler des IFB Hinweise darauf, dass die Tüte Chips oder die Schokolade auf der Couch als Belohnung nach einem stressigen Arbeitstag umso schneller zur Gewohnheit wird, je dicker ein Mensch ist. Mit Hilfe eines Computertests untersuchten sie an 30 normal- und übergewichtigen Männern im Alter zwischen 19 und 30 Jahren, wie stark sie sich anstrengen, um ein bestimmtes Nahrungsmittel zu erhalten. Adipöse Teilnehmer versuchten auch noch nach dem Genuss eines Snacks, mehr davon zu bekommen – obowohl sie in der begleitenden schriftlichen Befragung vorgaben, an ‚Nachschub‘ eigentlich nicht mehr interessiert zu sein. Aus diesem Widerspruch zwischen Verhalten und Denken bei den Adipösen folgern die Wissenschaftler, dass verstärktes unbewusstes und gewohnheitsmäßiges Essen eine große Rolle bei der Entwicklung von Übergewicht spielt.
 

 docFood meint:

In diesen Studien wurde mit Hilfe der Magnetresonanztomografie die Verarbeitung von Belohnungsreizen im Gehirn sichtbar gemacht. Die festgestellten Reaktionsähnlichkeiten auf Nahrungs- beziehungsweise Suchtreize können helfen, die Mechanismen der Erkrankungen besser zu verstehen und effektivere Therapien zu entwickeln, so hoffen die Wissenschaftler. Die Ergebnisse sind interessant, dürften erfahrene Ernährungsfachkräfte aber nicht überraschen. Die Schlussfolgerung, dass kognitive Strategien zur Therapie der Adipositas nicht reichen, ist eher banal. Man hätte von den Wissenschaftlern gerne mehr darüber erfahren, wo genau wirksamere Therapien zu verorten sind.

Friedhelm Mühleib

Amerikaner werden immer dicker

Noch nie gab es so viele krankhaft dicke Amerikaner wie heute: Wie eine aktuelle Untersuchung des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup belegt, sind 27 Prozent der US-Amerikaner adipös, weitere 35 Prozent sind übergewichtig. Das sind die höchsten jemals gemessenen Werte. 2005 lag der Anteil noch bei 25,5 Prozent.
Der schwache Trost: Der Anteil der Menschen mit normalem Gewicht ist demnach mit 48% der Bevölkerung unverändert geblieben. Der Zuwachs bei den adipösen (fettleibigen mit krankhaftem Übergewicht bei einem BMI über 30) kommt offensichtlich aus der Gruppe bisher als “übergewichtig” Registrierten (Body Mass Index 25 bis 30). Die traurige Tendenz: Viele, die dick sind, werden immer dicker. Am stärksten betroffen sind der Untersuchung zufolge Schwarze, bei denen der Anteil der Fettleibigen bei 35,5 Prozent liegt, so die Ergebnisse der Studie, die auf Umfragen unter insgesamt 167.000 Teilnehmern basiert.
 
Weniger dicke Kinder
Dabei sah es vor Jahresfrist noch nach einer Wende aus: Damals vermeldete das US-amerikanische Center for Disease Control einen Rückgang des Anteils der dicken Kinder unter den zwei- bis fünfjährigen um namhafte 43 Prozent während der letzten 10 Jahre. Tatsache ist auch, dass die Amerikaner langsam ihren Geschmack für billiges Junkfood verlieren – viele Zahlen sprechen dafür: So hat die Lust auf Softdrinks nachweislich nachgelassen: Der Konsum von Coca-Cola und anderen Süßgetränken ist auf den tiefsten Stand seit dem Jahr 1995 gesunken. Immer mehr Schulen verbannen Softdrinks und Fast Food aus ­ihren Cafeterias. Selbst Krankenhäuser im Mittleren Westen, die noch bis vor kurzem Hamburger servierten, sind aufgewacht und haben Verträge mit Lieferanten von Fast Food gekündigt. Vielleicht, so kann man hoffen, steht die wirkliche Wende ja doch noch bevor.
 
Sozial Schwache besonders betroffen
Für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten und speziell ihr Gesundheitssystem ist die Fettleibigkeit ein gigantisches Problem. Ökonomen gehen davon aus, dass dem Gesundheitssystem Kosten in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar pro Jahr entstehen. Neben physischen Belastungen wie Diabetes, hohem Blutdruck und anderen chronischen Leiden hebt Gallup auch die sozialen Folgen für Betroffene hervor. Zudem sei Fettleibigkeit zunehmend ein schichtspezifisches Problem und besonders häufig mit niedrigerer Bildung, geringem Einkommen und dauerhafter Arbeitslosigkeit verbunden.

Dr. Friedhelm Mühleib

Therapie der Adipositas: Ernährungsfachkräfte gehören dazu!

In Brandenburg soll in diesem Jahr ein neues Adipositas-Programm in Zusammenarbeit mit Hausärzten starten – wie die AOK Nordost jetzt bekanntgegeben hat. Das ist prinzipiell zu begrüßen – doch Ernährungsfachkräfte bleiben in der ambulanten Behandlung außen vor. Das lässt den Erfolg der Maßnahme von vornherein bezweifeln, denn ernährungstherapeutische Kenntnisse und Fertigkeiten dürften bei Hausärzten doch sehr überschaubar sein.
 
Das Adipositas-Zentrum der Havelland Kliniken möchte künftig, so die Pressemeldung der AOK Nordost, die Kooperation mit den Hausärzten der Region bei der Behandlung Übergewichtiger intensivieren. Hausärzte sollen die Patienten bei Vorliegen einer Adipositas zeitnah an das Behandlungsteam der Kliniken überweisen. Grundlage dafür ist ein integrierter Versorgungsvertrag, den die AOK Nordost mit den Havelland Kliniken abgeschlossen hat. Mit dem Vertrag über die Durchführung des ambulanten Adipositas-Programms wollen die AOK Nordost und die Havelland Kliniken GmbH dem Problem Adipositas begegnen. Herzstück des Programms sind die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie. Dabei richtet es sich in erster Linie an Patienten mit deutlichem Übergewicht und einem Bodymaßindex über 40 bzw. 35 mit dadurch bedingten Folgeerkrankungen.
 
Ernährungsfachkräfte im ambulanten Bereich: Nicht vorgesehen
Im Adipositas-Zentrum selbst arbeiten Ernährungsmediziner mit anderen Gesundheitsberufen eng zusammen – neben Sporttherapeuten und Psychologen sind dort auch beispielsweise Ernährungswissenschaftler mit dabei. Schwerpunkt ist dabei eine umfassende Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie mit dem Ziel, dauerhafte Impulse für einen gesunden Lebensstil zu setzen. Das Programm ist jeweils auf zwölf bzw. sechs Monate angelegt. Wichtig ist, dass der behandelnde Hausarzt, insbesondere nach dem Ende des Adipositas-Programms, der erste Ansprechpartner für die Patienten bleibt. Ein Einsatz qualifizierter Ernährungsberater in der Nachsorge auf ambulanter Ebene scheint nicht vorgesehen.
 
docFood meint:
Es ist zu begrüßen, dass Adipositas-Patienten nach einer intensiven Therapiephase weiter begleitet werden. Der Hausarzt ist sicherlich der richtige Ansprechpartner, wenn es um medizinische Fragestellungen geht. Für den nachhaltigen Effekt einer Gewichtsreduktion ist jedoch auch eine Unterstützung durch erfahrene, gut qualifizierte Ernährungsfachkräfte nötig. Nur sie können den Patienten bei den täglichen Entscheidungen ihres Ernährungsalltags unterstützen, weil sie die einzige Berufsgruppe sind, die gleichzeitig Kenntnisse in der Ernährungsmedizin und im Bereich Lebensmittel aufweisen. Man kann den Hausärzten also nur empfehlen, mit Ernährungsfachkräften zu kooperieren.

Dr. Maike Groeneveld

Mehr Hilfe statt Mobbing für dicke Kinder

Fast 2 Millionen Kinder und Jugendliche sind in Deutschland zu dick. 800.000 von ihnen gelten sogar als fettleibig oder adipös. Das bedeutet, ihr Übergewicht ist so groß, dass ihre Gesundheit in Gefahr ist. In Gefahr ist aber außerdem ihre Seele. Denn viele Menschen zeigen mit dem Finger auf sie und machen ihnen das Leben so zur Hölle.
Hand aufs Herz: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ein dickes Kind oder einen moppeligen Teenager sehen? Vermutlich denken Sie „faul und bequem“ oder „kann der/die sich nicht bremsen“? Schließlich meinen die meisten schlanken Menschen, die Kinder seien an ihren vielen Kilos selber schuld. Das ist jedoch ein Vorurteil, das bisher kaum jemand in Frage stellt – und den Kindern das Leben zur Hölle macht. Denn im Gegensatz zu allen anderen chronischen Erkrankungen – und dazu zählen Übergewicht und Adipositas letztendlich – kann man diese Krankheit nicht verbergen. Grund genug für Professor Martin Wabitsch, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, auf einer Fachtagung an die Öffentlichkeit zu appellieren, Kinder und Jugendliche mit Übergewicht nicht abzustempeln, auszugrenzen oder gar zu diskriminieren. „Kein Kind möchte übergewichtig sein“, betonte Wabitsch. Schuld seien nicht die Kinder, sondern oft eine erbliche Veranlagung und die Lebensumstände in unserer Gesellschaft.
 

Abnehmen: Die wenigsten schaffen es alleine

Nur selten schaffen es Kinder und Jugendliche aus eigener Kraft, dauerhaft abzunehmen. Zu groß ist das Bestreben des Körpers, die Pfunde zu verteidigen. Zu groß sind zudem die Verlockungen durch billige Lebensmittel und Getränke mit zu viel Zucker und/oder zu viel Fett. Andererseits ist meist das eigene Selbstvertrauen zu gering, um an den eigenen Erfolg beim Abnehmen zu glauben. Wer es trotzdem schafft, ein Teil der Pfunde zu verlieren, wird oft genug vom Jo-Jo-Effekt zusätzlich „bestraft“. Kinder und Jugendliche geraten so leicht in einen Teufelskreis und wachsen häufig nahtlos zu übergewichtigen Erwachsenen heran.
 

Es gibt eine erfolgreiche Therapie

Einen Ausweg könnte ein Behandlungskonzept bieten, das sich nicht nur um Ernährung dreht, sondern auch Bewegung, Psyche und medizinische Aspekte berücksichtigt und zudem die Eltern einbezieht. Fünf Jahre lang wurde in einer Studie untersucht, ob und wie das Konzept funktioniert. Die Ergebnisse stimmen optimistisch: Die Kinder und Jugendlichen nahmen in der einjährigen ambulanten Therapie nicht nur ab, sondern veränderten auch ihr Essverhalten. Sie lernten zum Beispiel, langsamer zu essen, hatten weniger Heißhunger auf Süßes und Fettiges und konnten besser zwischen „satt“ und „hungrig“ unterscheiden. Außerdem wurden sie körperlich fitter, selbstbewusster und einfach glücklicher.
 

Tipp von docFood:

Wer mehr darüber wissen möchte, wie Kinder und Jugendliche ihr Übergewicht loswerden können, wendet sich am besten an die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) oder die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA). Die AGA listet außerdem zertifizierte Therapieeinrichtungen  in ganz Deutschland auf.
 
Bildquelle: Bigstock
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