Adipositas – süchtig nach Essen?

In der Therapie der Adipositas reicht es nicht, nur auf die bewusste, kognitive Esskontrolle zu setzen. Vor allem über viele Jahre eingeschliffene Essgewohnheiten stark Übergewichtiger lassen sich damit kaum verändern. Hier braucht es therapeutische Ansätze aus dem Umfeld der psychologischen Verhaltenstherapie. Zu diesem Ergebnis kommen Leipziger Wissenschaftler vom Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) für Adipositaserkrankungen.
 
Ähnlich wie im Achtsamkeitstraining muss demnach eine Therapie darauf ausgerichtet sein, dass die Betroffenen Essen neu wahrnehmen und ein neues Bewusstsein dafür entwickeln. Hintergrund dieser Forderung ist die Erkenntnis der Leipziger Forscher, dass es Ähnlichkeiten in der Verarbeitung von Belohnungsreizen bei Adipösen und Drogenabhängigen gibt. Im Gehirn von Menschen mit Adipositas ist genauso wie bei Menschen mit Suchterkrankungen eine verstärkte Aktivität in bestimmten Gehirnarealen als Reaktion auf Essens- beziehungsweise Suchtreize zu beobachten. Dabei steigt der Blut- und Sauerstoffspiegel in der Amygdala, einem Gehirnbereich, der für die Wahrnehmung von Emotionen wie Angst, Erregung, Lust und Belohnung wichtig ist. Die als beglückend-positiv empfundene Reaktion auf Essen kann langfristig zu einem gewohnheitsmäßigen Überessen führen, so die Forscher des IFB.
 

Dicke verfallen eher dem Genuss

Dass Menschen dazu neigen, angenehme Empfindungen zu wiederholen und schließlich als Gewohnheit zu etablieren, ist plausibel. Im Rahmen ihrer Untersuchungen fanden die Wissenschaftler des IFB Hinweise darauf, dass die Tüte Chips oder die Schokolade auf der Couch als Belohnung nach einem stressigen Arbeitstag umso schneller zur Gewohnheit wird, je dicker ein Mensch ist. Mit Hilfe eines Computertests untersuchten sie an 30 normal- und übergewichtigen Männern im Alter zwischen 19 und 30 Jahren, wie stark sie sich anstrengen, um ein bestimmtes Nahrungsmittel zu erhalten. Adipöse Teilnehmer versuchten auch noch nach dem Genuss eines Snacks, mehr davon zu bekommen – obowohl sie in der begleitenden schriftlichen Befragung vorgaben, an ‚Nachschub‘ eigentlich nicht mehr interessiert zu sein. Aus diesem Widerspruch zwischen Verhalten und Denken bei den Adipösen folgern die Wissenschaftler, dass verstärktes unbewusstes und gewohnheitsmäßiges Essen eine große Rolle bei der Entwicklung von Übergewicht spielt.
 

 docFood meint:

In diesen Studien wurde mit Hilfe der Magnetresonanztomografie die Verarbeitung von Belohnungsreizen im Gehirn sichtbar gemacht. Die festgestellten Reaktionsähnlichkeiten auf Nahrungs- beziehungsweise Suchtreize können helfen, die Mechanismen der Erkrankungen besser zu verstehen und effektivere Therapien zu entwickeln, so hoffen die Wissenschaftler. Die Ergebnisse sind interessant, dürften erfahrene Ernährungsfachkräfte aber nicht überraschen. Die Schlussfolgerung, dass kognitive Strategien zur Therapie der Adipositas nicht reichen, ist eher banal. Man hätte von den Wissenschaftlern gerne mehr darüber erfahren, wo genau wirksamere Therapien zu verorten sind.

Friedhelm Mühleib

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