Ein bisschen Achtsamkeit ist zu wenig
Ein neues Schlagwort macht die Runde: Achtsamkeit. Sie wird gepriesen als Wundermittel zum Erreichen von innerem und äußerem Gleichgewicht. So soll der Mensch durch Achtsamkeit nicht nur von den Folgen von Stress und Überforderung genesen. Achtsam essen soll auch von Übergewicht erlösen und vor Fehlernährung bewahren.
Das Paradoxe daran: Achtsames essen kann tatsächlich ein Weg aus der Ernährungsfalle sein – doch während immer mehr darüber geschrieben und geredet wird, desto weniger wird der Begriff verstanden. So stößt man verbreitet auf die Meinung: Ein bisschen Achtsamkeit – das tut sicher gut und kann doch nicht so schwer sein. Hier liegt das Problem. Ein bisschen Achtsamkeit funktioniert nicht – zumindest dort nicht, wo sie als therapeutisches Instrument zum Zuge kommen soll – ganz gleich ob es zur Erlangung des inneren oder äußeren Gleichgewichts eingesetzt werden soll.
Achtsamkeit als Weg zum Gleichgewicht
Das Prinzip hört sich ganz einfach und plausibel an: Es ist nicht die Torte, die dick macht, es ist die Seele. Inneres Ungleichgewicht führt häufig zu äußerem Übergewicht. Achtsamkeit ist der Weg zurück zum inneren Gleichgewicht. Wer seine Achtsamkeit systematisch schult, kann schädliche Essmuster dauerhaft durchbrechen und den Autopiloten, der uns wie ferngesteuert zur Gabel greifen lässt, ausschalten. Sie ist der Königsweg, um die Signale des Körpers wieder wahrzunehmen, mit dem zu-viel-essen aufzuhören und nur noch so viel zu essen, wie der Körper wirklich braucht. Das ist eine schöne Theorie, die einen Haken hat: Wie is(s)t man achtsam im persönlichen Ernährungsalltag? Achtsamkeit ist ein Zustand, der sich nur schwer operationalisieren und kognitiv erklären lässt. Achtsamkeit lässt sich nicht mal eben wie Frühsport oder eine Yogaübung in den gewohnten Alltag schieben. Wer montags kein Fleisch isst, ist deswegen noch kein Vegetarier – wer ab und an mal ein Stündchen achtsam ist, beherrscht noch nicht das Prinzip der Achtsamkeit.
Achtsamkeit erfordert Aufmerksamkeit
Achtsamkeit ist eine Geisteshaltung, eine Lebensphilosophie, die konsequent erarbeitet werden muss. Die wenigsten schaffen das ohne die Hilfe eines Therapeuten oder geübten Lehrers, und bis man dahin kommt, braucht es in der Regel eine Menge Zeit. Wer das Prinzip schließlich verinnerlicht hat, für den ist tatsächlich auch achtsam essen ein Kinderspiel. Damit wird das Problem deutlich: Die meisten nehmen Achtsamkeit als ein Rezept wie viele andere wahr – als eine Art Diät, und wundern sich, wenn das nicht funktioniert. Achtsamkeit ist deswegen so schwer zu erklären und zu vermitteln, weil sie mit Prinzipien verbunden ist, die der Lebensweise des modernen Menschen der rationalen Wissensgesellschaft und der Internetzeit fast diametral entgegengesetzt sind. Die Wurzeln der Achtsamkeit als Lebenshaltung liegen im Buddhismus. Dort hat sie einen zentralen Stellenwert. Achtsam sein bedeutet, ganz in der Gegenwart, im Hier und Jetzt und bei sich selbst zu sein. Es bedeutet, sich seiner Gefühle, Gedanken und Handlungen in jedem Augenblick voll bewusst zu sein. Buddhisten üben sich in Achtsamkeit vornehmlich durch Meditation. Buddhistische Meister betonen die Wichtigkeit, Achtsamkeit zu einer das ganze Leben prägenden und durchdringenden Geisteshaltung zu machen, die sich auf vier existentielle Bereiche bezieht: den Körper, die Empfindungen, den Geist und die Geistobjekte. Im Gegensatz dazu ist unser modernes westliches Leben durch Hektik, Information Overload, Multitasking, Wissensflut und zahllose weitere Überforderungen geprägt.
Tipp von Doc Food:
Achtsam essen lässt sich kaum durch Lesen lernen. Inzwischen gibt es immer mehr Kursangebote zum Erlernen von Achtsamkeit. Wer achtsamer leben und essen möchte, ist in einem solchen Kurs auf einem guten Weg.
Bildquelle: Francesca Schellhaas / photocase.com
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