Stress nimmt der Zelle den Zucker – und füttert den Krebs damit?

Ketogene Krebsdiäten setzen an der Überlegung an, dass Krebszellen extrem viel Zucker brauchen. Ihre Wirkung ist unbewiesen – ihr Nachteil: Sie quälen den eh schon leidgeplagten Krebspatienen mit extrem einseitiger Diät. Wissenschaftler im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben nun herausgefunden, dass oxidativer Stress den Zuckerstoffwechsel in der gesunden Zelle blockiert. Sie vermuten, dass Krebszellen (die nicht blockieren) davon profitieren, weil ihnen dadurch mehr Zucker zur Verfügung steht. Schon denken die Wissenschaftler über eine Krebstherapie auf molekularbiologischer Ebene nach, die Extremdiäten überflüssig machen kann.
Die Arbeitsgruppe um Tobias Dick konnte in der Arbeit beweisen: Die lange bekannte Unterbrechung des normalen Zuckerstoffwechsels unter Stressbedingungen ist keine unkontrollierte Störung, sondern – ganz im Gegenteil – wichtig für das Überleben der Zellen. Dafür sorgt ein hochspezifischer Mechanismus, der sich in der Evolution früh herausbildete und sogar schon bei Bakterien nachweisbar ist. Krebszellen profitieren möglicherweise besonders davon.
Traubenzucker liefert Energie und Bausteine für die Zellen in unserem Körper. Dass unter oxidativem Stress, wie er etwa bei Entzündungen oder Vergiftungen entstehen kann, der normale Abbau des Traubenzuckers ins Stocken gerät, ist lange bekannt. Eines der zentralen Enzyme beim Zuckerabbau (GAPDH) wird ungewöhnlich schnell oxidiert und dabei durch Wasserstoffperoxid (H2O2) inaktiviert. Immunzellen setzten bei chronischen entzündlichen Reaktionen dauerhaft H2O2 frei – ein charakteristisches Kennzeichen für den oxidativen Stress.
Doch warum wird GAPDH durch H2O2 so viel leichter und schneller abgeschaltet als andere Enzyme? Und was bedeutet die Unterbrechung des Zuckerstoffwechsels für die Zelle? Bislang dachte man, dass die oxidative Inaktivierung von GAPDH nur die schicksalhafte Begleiterscheinung von derartigen Prozessen sei. Die Zelle – so vermutetet man bisher – muss den gestörten Zuckerstoffwechsel bei oxidativem Stress zwangsläufig in Kauf nehmen.
 
Warum sich der Krebs freut, wenn die Zelle unter Stress steht
Das Gegenteil ist der Fall, wie nun die Arbeitsgruppe um Tobias Dick belegen konnten: Die Wissenschaftler entdeckten einen bisher unbekannten Mechanismus, der die Reaktion von GAPDH mit H2O2 ganz spezifisch herbeiführt. Die hohe Empfindlichkeit von GAPDH für H2O2 ist entgegen allen bisherigen Annahmen kein Nebeneffekt der allgemeinen GAPDH-Reaktivität. Stattdessen beschleunigt GAPDH seine eigene oxidative Hemmung, spezifisch und unabhängig von seiner Aktivität im Zuckerstoffwechsel. “Wir waren überrascht festzustellen, dass sich dieser spezielle Mechanismus in der GAPDH von fast allen Lebewesen findet, von Bakterien bis zum Menschen. Alles deutet darauf hin, dass er für das Überleben unter Stressbedingungen eine grundlegende Rolle spielt”, erklärt Tobias Dick.
Die Wissenschaftler erzeugten daraufhin ein genetisch verändertes GAPDH, das seiner Rolle im Zuckerstoffwechsel ganz normal nachkommt, aber ohne dabei durch H2O2 gehemmt werden zu können. Unter oxidativem Stress hatten nun Zellen mit normalem, oxidations-empfindlichem GAPDH einen erheblichen Wachstumsvorteil: Wie die Forscher zeigten, führte die oxidative Blockade von GAPDH zu einer alternativen Verwendung des Zuckers. Dieser alternative Weg förderte jetzt vor allem die Bildung von NADPH, ein Molekül, das der Oxidation entgegenwirkt und der Zelle hilft, mit dem oxidativen Stress fertig zu werden. Auf diese Weise verschafft die Unterbrechung des normalen Zuckerabbaus der Zelle einen wichtigen Überlebensvorteil.
Als nächstes möchten die Forscher untersuchen, ob auch Krebszellen von der oxidativen Hemmung der GAPDH profitieren. David Peralta, der Erstautor der Studie, erläutert: “Krebszellen verwerten besonders viel Zucker und stehen zudem unter erhöhtem oxidativem Stress. Wir vermuten deshalb, dass sie sich die oxidative Hemmung der GAPDH für ihre Zwecke zunutze machen. Diesen Mechanismus abzuschalten, könnte Krebszellen besonders hart treffen.”
 
docFood meint:
Viele Ernährungsfachkräfte verfolgen die Diskussion um ketogene Ernährung – insbesondere auch in ihrer extremen Form als zuckerfreie Krebsdiät. Die Untersuchung bestätigen einerseits die Grundannahmen der Verfechter einer ketogenen Ernährung und könnten zudem mittelfristig zu einer alternativen, wirksameren und für den Patienten weniger verzichtsbeladenen Therapie führen. Insgesamt stützt die Untersuchung auch die Empfehlung der LOW-CARB Schule, bei Krebs auf Zucker möglichst weitgehend zu verzichten

Dr. Friedhelm Mühleib

 
Quelle: DKFZ
 

3 Kommentare
  1. Maike Groeneveld sagte:

    Hallo Friedhelm,
    ich finde Studien über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs superwichtig. Grundlagenstudien, so wie die von dir vorgestellte, können Hinweise liefern, müssen jedoch unbedingt durch klinische Studien bestätigt werden. Konkrete Ernährungsempfehlungen sollten erst ausgesprochen werden, wenn es wirklich, wirklich erwiesen ist, dass sie nützen und nicht schaden, denn die Betroffenen greifen verständlicherweise nach jedem Strohhalm.
    Bezüglich der kohlenhydratarmen Diät kam die Arbeitsgemeinschaft Prävention und integrative Onkologie (PRiO) in der Deutschen Krebsgesellschaft nach einer systematischen Literaturrecherche Mitte 2014 zu folgendem Schluss:
    Zum jetzigen Zeitpunkt liegt keine wissenschaftliche Untersuchung vor, die belegt, dass eine
    derartige Kostform Wachstum und Metastasierung eines Tumors beim Menschen verhindern
    bzw. zurückdrängen kann. (Quelle: https://www.krebsgesellschaft.de/deutsche-krebsgesellschaft/klinische-expertise/wissenschaftliche-stellungnahmen.html)
    Bis das Gegenteil erwiesen ist, empfehle ich Krebspatienten eine vollwertige und kohlenhydratbewusste Ernährung, in der Zucker in Form von Süßigkeiten – wenn gewünscht – in kleinen Mengen genossen werden kann.
    Schöne Grüße
    Maike

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    • Birgit Blumenschein sagte:

      dem kann ich nur zustimmen… bin oft traurig über die Polemik, die aus den eigenen Kollegenkreisen kommt, ohne den Stoffwechsel pathobiochemisch überhaupt verstanden zu haben; gerne mal Fortbildung in dieser Richtung, ich glaube dringend

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