Mangelernährung – die unterschätzte Gefahr
Ärzte fordern bessere ernährungsmedizinische Betreuung von Tumorpatienten zur Bekämpfung von Mangelernährung: Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. stellt in ihrer aktuellen Pressemeldung fest, dass bei Tumorerkrankungen im Magen-Darm- oder im Kopf-Hals-Bereich bis zu 80 Prozent der Patienten bereits mangelernährt sind, bevor eine Behandlung begonnen wird. Dabei könne eine rechtzeitige und individuelle ernährungsmedizinische Betreuung den Therapieerfolg positiv beeinflussen und die Lebensqualität der Krebspatienten verbessern.
„Für die Genesung müssen Krebspatienten alle Kräfte mobilisieren. Mangelernährung und Untergewicht verschlechtern die Lebensqualität und wirken sich negativ auf die Prognose aus“, erklärt die Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) Prof. Dr. med. Stephanie E. Combs.
Ernährungsmedizinische Betreuung ein ‚Muss‘
Wenn der Krebs den Magen-Darm-Trakt oder den Kopf-Hals-Bereich befallen hat, leiden viele Patienten unter Schluckbeschwerden oder Verdauungsstörungen. Kommen dann bei einer Strahlentherapie, insbesondere wenn diese mit einer Chemotherapie kombiniert werden muss, auch noch Übelkeit und Erbrechen hinzu, werden Gewichtsabnahme und Mangelernährung zu einem echten Risiko für den Therapieverlauf. „Deshalb sollte jeder Tumorpatient ernährungsmedizinisch betreut werden“, so Combs. Am besten wird der Ernährungsstatus eines Patienten schon vor Beginn einer onkologischen Therapie erfasst, denn ist die Mangelernährung erst fortgeschritten, helfen oft nur noch eine Magensonde oder Infusionen, um den Patienten ausreichend mit Nährstoffen zu versorgen. Auch die aktuelle S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin bestätigt die Notwendigkeit und den Nutzen der Ernährungstherapie: Sie kann die Leistungsfähigkeit, den Stoffwechsel, die Therapieverträglichkeit und die Lebensqualität deutlich verbessern. Prof. Dr. med. Rainer Fietkau, Direktor der Strahlenklinik am Universitätsklinikum Erlangen und Vorstandsmitglied der DEGRO zieht daraus den Schluss „Hier ist die Vernetzung der Ärzte gefragt. Radioonkologen sollten mit Ernährungsmedizinern und Ernährungsberatern zusammenarbeiten, um für Krebspatienten einen passenden Ernährungsplan aufzustellen.“
Zur Umsetzung fehlt der politische Wille
Kliniken und onkologische Fachpraxen, in denen professionelle Ernährungstherapie und –beratung für Tumorpatienten angeboten wird, sind in der Praxis leider die Stecknadeln im Heuhaufen. Dabei sind Tumorpatienten nur eine – wenn auch wichtige Gruppe von kranken Menschen, die von Mangelernährung betroffen sind. Mangelernährung ist die große unterschätzte Bedrohung, die nicht nur von Medien und Öffentlichkeit, sondern auch vom Gesundheitssystem und sogar den Betroffenen selbst unbeirrt unterschätzt bzw. sogar ignoriert wird. Nicht umsonst zählt z. B. die „Initiative Nachrichtenaufklärung e. V.“ die Mangelernährung zu den Top Ten der vernachlässigten Nachrichten im Jahr 2016. Da ist es zumindest ein kleiner Trost, wenn eine medizinische Fachgesellschaft wie die AMWF endlich das Thema aufgreift und nach der einzigen Maßnahme ruft, die zur Eindämmung der Mangelernährung führen kann: Ernährungsmedizinische und ernährungstherapeutische Betreuung und Behandlung der Patienten. Bis heute ist ernährungsmedizinische Betreuung bzw. Ernährungstherapie als Instrument zur Behandlung der Mangelernährung nicht anerkannt. Es gibt nach wie vor weder ein obligates Screening auf Mangelernährung in Krankenhäusern noch eine strukturelle Verankerung interdisziplinärer Ernährungsteams im klinischen Bereich – vom ambulanten Bereich ganz zu schweigen. Hier ist die Gesundheitspolitik gefragt. Die hüllt sich jedoch in so hartnäckiges Schweigen, dass man fast schon bezweifeln könnte, ob dort irgendjemand das Problem überhaupt kennt.
docFood meint
Ernährungsmediziner und Ernährungsfachkräfte jeder Couleur, vereinigt euch und fordert von der Politik eine einheitliche, angemessene Honorierung für alle professionellen Leistungen im Zusammenhang mit der Mangelernährung – sowohl für die ärztliche Leistung im klinischen und ambulanten Bereich alsauch für die Ernährungstherapie durch Ernährungfachkräfte. Die Berufs- und Fachverbände sollten ihre Stimme immer wieder öffentlich erheben, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Schade, die Chance, dies im Vorfeld der Wahlen zu tun, ist schon vertan.
Dr. Friedhelm Mühleib