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Die große Gluten-Hysterie

Vertragen Sie noch alles oder leiden Sie schon – an Lebensmittelunverträglichkeiten zum Beispiel? Fast ein Drittel der Deutschen glaubt fest daran, an Lebensmittelunverträglichkeiten oder -allergien zu leiden. Das hat das Frankfurter Marktforschungsinstitut targeted in einer Umfrage herausgefunden. Von den restlichen zwei Dritteln der Befragten verzichten gut 80 % freiwillig auf bestimmte Lebensmittel.
 
Ein Hauptgrund dafür ist auch dabei das Gefühl, diese Nahrungsmittel nicht zu vertragen. Dahinter steht bei den Betroffenen meist eine Fehleinschätzung, die zu negativen gesundheitlichen Folgen führen kann.
 

Unverträglichkeiten – oft nur Einbildung

EIn den meisten Fällen beruht diese falsche Einschätzung auf einer unzutreffenden Selbstdiagnose – man könnte es auch einfach ‚Einbildung‘ nennen. Ein Blick auf die belastbaren Daten zeigt denn auch deutlich: Von einer Zöliakie z. B. – einer echten Gluten-Unverträglichkeit – sind nur etwa 0,5 % bis 1 % der Bevölkerung betroffen. Mit der verbreiteten Gluten-Hysterie sind die Deutschen nicht alleine: In den USA wurden 2015 mehr als 1.500 Erwachsene, die sich glutenfrei ernährten, nach den Gründen dafür befragt. Ein Drittel der Befragten wählte die Antwort „keinen Grund“. Ein Viertel hielt eine glutenfreie Ernährung für die „gesündere Option“ und ein Fünftel der Befragten glaubte an eine verdauungsfördernde Wirkung. Bei jedem zehnten Befragten war ein Familienmitglied „glutensensitiv“ und lediglich acht Prozent gaben an, selbst „glutensensitiv“ zu sein.
 

Glutenfrei kann schaden

Wer ohne sichere Diagnose auf Gluten verzichtet, schränkt seine Auswahl an Lebensmitteln stark ein, sagt Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Glutenfreie Ernährung ist weder gesünder als normale Kost, noch hilft sie beim Abnehmen, wie viele hoffen. Wer sich auf Grund der glutenfreien Kost nicht abwechslungsreich genug ernährt, dem droht zudem eine Unterversorgung mit wichtigen Nähr- und Mineralstoffen – zum Beispiel den Vitaminen K, B1, B2 oder B6 und Mineralstoffen wie Magnesium, Zink oder Kupfer, wie Antje Gahl betont. Die amerikanische Kinderärztin Dr. Norelle R. Reilly vom Columbia University Medical Center in New York teilt diese Ansicht und warnt vor allem Eltern davor, bereits ihre Kinder grundlos (..also ohne Diagnose) zu einer glutenfreien Diät zu zwingen: „Aus Sorge um die Gesundheit ihrer Kinder setzen Eltern manchmal ihre Kinder auf eine glutenfreie Diät, in dem Glauben, dass diese Symptome lindert, Zöliakie verhindert oder eine gesunde Alternative darstellt, ohne vorherige Prüfung auf Zöliakie oder Beratung durch einem Ernährungsberater“, so Reilly. Doch wegen drohender Nährstoffmängel und Einschränkungen in der Lebensqualität kann eine glutenfreie Ernährung gerade Kindern nach Ansicht von Dr. Reilly mehr schaden als nutzen.
 

docFood rät

Beginnen Sie niemals mit der glutenfreien Diät ohne vorher eindeutig medizinisch abgesicherte Diagnose! Von einer Selbstdiagnose ist dringend abzuraten. Auch Bioresonanz oder ähnliche „Alternativen“ sind völlig ungeeignet. Eine glutenfreie Diät erfordert eine beachtliche Umstellung in der Ernährung, konsequent und lebenslang, die auch mit erheblichen Kosten verbunden ist. Das alles ist nur dann gerechtfertigt, wenn es sich tatsächlich um eine Zöliakie handelt. Eine sehr gute Übersicht darüber, welche Untersuchungen sinnvoll bzw. notwendig sind, um eine echte Zöliakie nachzuweisen, gibt die Österreichische Arbeitsgemeinschaft Zöliakie. Wenn Sie einen Arzt in Ihrer Nähe suchen, der sich mit der Diagnose Zöliakie auskennt, empfiehlt sich ein Anruf bei der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (DZG) – dort hilft man Ihnen weiter.

Dr. Friedhelm Mühleib

 
Foto:
Lebensmittelintoleranz – die Vermarktung der Angst
© targeted – Marketing Research & Consulting

Sabine Lisicki lebt glutenfrei

Tennis-Ass Sabine Lisicki kämpfte jahrelang mit Bauchschmerzen und Müdigkeit und konnte sich nur schlecht konzentrieren. Ihre Ärzte fanden dafür lange Zeit keine medizinische Erklärung. 2011 kam der Verdacht auf, dass es sich um eine Gluten Sensitivity (GS) handeln könnte. Lisicki ließ sich daraufhin erneut untersuchen, was mit einer Bestätigung der Diagnose GS endete. Seitdem profitiert sie von der glutenfreien Ernährung und hat keine Beschwerden wie Bauchschmerzen und Müdigkeit mehr. „Ich fühlte mich schon nach kürzester Zeit wieder richtig gut!“, erzählt Lisicki rückblickend, nachdem sie ihre Ernährung auf glutenfrei umgestellt hatte.

Glutenfreie Ernährung – Ernährungsberatung hilft

Wer die Diagnose Gluten Sensitivität erhält, fühlt sich oft zunächst überfordert, wenn es um die Einhaltung einer strikt glutenfreien Ernährung geht. Auch Lisicki erzählt: „Die Umstellung zu einer glutenfreien Ernährung war für mich anfangs nicht leicht.“ Eine Ernährungsberatung bei einer Fachkraft ist in dieser Phase unbedingt ratsam, um den Speiseplan ausgewogen zu gestalten. Ernährungsfachkräfte wie die Diätassistentin und Dipl. Medizinpädagogin Birgit Blumenschein leisten hier wertvolle Unterstützung. „Sehr viele Lebensmittel sind von Natur aus glutenfrei, zum Beispiel Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch und Milchprodukte. Um auf Brot, Pizza oder Nudeln nicht verzichten zu müssen, gibt es eine breite Palette an speziellen glutenfreien Lebensmitteln im Reformhaus, Supermarkt und Drogeriemarkt, die für einen abwechslungsreichen Speiseplan sorgen“, sagt Blumenschein.

docFood – Expertin Gabriela Freitag-Ziegler meint dazu:

Im Gegensatz zur Zöliakie und zur Weizenallergie lässt sich Glutensensitivität nur durch Ausschlussverfahren diagnostizieren: Liegen bei ähnlichen Beschwerden weder eine Zöliakie noch eine Weizenallergie oder andere Erkrankungen vor und bessern sich die Symptome durch eine glutenfreie Diät, gilt die Glutensensitivität als bestätigt. Wer eine Glutensensitivität hat, muss die glutenfreie Diät möglicherweise nur vorübergehend einhalten. Manche Betroffenen vertragen sogar kleine Mengen Gluten, so dass Gluten-Kontaminationen wenig problematisch sind
Bisher gibt es jedoch keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass eine glutenfreie Diät für die Allgemeinbevölkerung Vorteile bringt. Auch der Gastroenterologe Professor Wolfgang Holtmeier. spricht sich deutlich dagegen aus, eine glutenfreie Ernährung ohne jeglichen Befund auszuprobieren: „Eine sorgfältige medizinische Diagnose steht an erster Stelle, da noch andere Unverträglichkeiten oder Allergien Ursache für vorliegende Beschwerden sein können.“ Der Marktführer für glutenfreie Lebensmittel (Dr. Schär) betont ebenfalls, glutenfreie Ernährung sei kein Allheilmittel, beispielsweise zum Abnehmen oder zur Prävention von Herzinfarkt.

Foto: Sabine Lisicki (links im Bild) lässt sich von ihrer Ernährungsberaterin Birgit Blumenschein beraten

Foto: © Dr. Schär
 

Wer muss laktose- und glutenfrei essen?

Wenn es gelegentlich zwickt und zwackt im Darm, vermuten viele Betroffene eine Laktose- oder Glutenunverträglichkeit. In der Regel ist diese Sorge bei leichten Beschwerden unbegründet. Sie hindert die meisten jedoch nicht daran, viel Geld unnötig für laktose- oder glutenfreie Lebensmittel auszugeben. Ein neues Video der Verbraucherzentralen und der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz macht deutlich: Wer laktosefreie oder glutenfreie Lebensmittel kauft, ohne dass es gesundheitlich notwendig ist, zahlt erheblich mehr, hat aber keinen besonderen Vorteil.
 

Gesunde Geschäfte – für die Hersteller

In den Supermarktregalen finden sich immer mehr Lebensmittel, die als “laktosefrei” oder “glutenfrei” gekennzeichnet sind. Für Personen, die unter Laktoseunverträglichkeit oder Zöliakie leiden, erleichtert eine auffällige Kennzeichnung die Lebensmittelauswahl. Für gesunde Verbraucher haben laktose- und  glutenfreie Lebensmittel aber keinerlei Vorteile. Dennoch erwecken Hersteller und Händler oft den Eindruck, dass diese Produkte allgemein Gesundheit und Wohlbefinden steigern können. „Für gesunde Menschen sind diese Produkte schlichtweg überflüssig. Außerdem sind sie wesentlich teurer als normale Produkte“, erläutert Christiane Manthey, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Dahinter stecken oft nur die Absatzinteressen der Lebensmittelindustrie“.
 

Video klärt auf

In Kooperation mit der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz klären die Verbraucherzentralen mit dem neuen Video „Laktosefrei, glutenfrei – besonders gesund für alle?“  auf und bringen das Ergebnis eines 2013 bundesweit durchgeführten Marktchecks auf den Punkt: Gluten- und laktosefreie Produkte sind wesentlich teurer als herkömmliche Lebensmittel. Für den Kauf dieser Lebensmittel sollte deshalb ein echter, ärztlich festgestellter Bedarf vorliegen, gesunde Personen haben keinen besonderen Vorteil.
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Tipp von docFood:

Hat der Arzt eine Lebensmittelintoleranz diagnostiziert, sollte man sich zunächst von einer qualifizierten Ernährungsfachkraft beraten lassen. Unter individueller Anleitung erfährt man, worauf künftig bei der Ernährung zu achten ist: ob überhaupt auf einzelne Lebensmittel vollständig verzichtet werden muss, welche Lebensmittel weiterhin unbedenklich sind oder in verringerter Menge gegessen werden können. Mehr Infos zu Laktose- und Glutenunverträglichkeit finden sie hier und hier bei docFood.
 
Bildquelle: 3 Pauly
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