Ernährungsberatung: „Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein!“
In einem der letzten Beiträge berichtete docFood über die Kritik des Verbandes der Diätassistenten in Deutschland (VDD) an zahllosen selbsternannten „Ernährungsberatern“ die ihre Dienste z. T. ohne jegliche geprüfte Qualifizierung anbieten – was möglich ist, weil die Berufsbezeichnung nicht geschützt ist. docFood spricht im folgenden Interview mit Birgit Blumenschein (Foto) über die Stellung von Ernährungsfachkräften in Deutschland und die Frage, ob der Begriff „Diätassistent(in)“ für das Image der Ernährungsberatung kontraproduktiv ist. „Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein und sollten stolz auf unsere Ausbildung und unsere Fähigkeiten sein – und entsprechend mehr über Ernährungsthemen reden statt über Berufsnamen.“ meint die selbstständige Diätassistentin mit eigener Praxis in Münster, die seit vielen Jahren aktives Mitglied des VDD ist. Zudem ist die Dipl. Medizinpädagogin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der praxisHochschule Rheine, Studiengang Clinical Nutrition tätig und Mitautorin des Standardwerkes „Erfolgreich selbstständig als Ernährungsfachkraft“.
dF: Frau Blumenschein, die aktuelle Pressemeldung des VDD beklagt den Missbrauch, der mit dem Begriff Ernährungsberater betrieben wird. Trägt daran die unglückliche Berufsbezeichnung Diätassistent(in) schuld? Mit dem Begriff Diätassistent(in) (DA)verbinden Verbraucher bis heute wohl eher eine Person, die bei einer Diät assistiert als jemanden, der qualitätsgesicherte Ernährungsberatung betreibt.
Blumenschein: Es kommt vielen so vor, dass der Begriff “assistent” lediglich eine assistierende und damit nicht eigenverantwortliche Tätigkeit in der Diätetik und Ernährungsmedizin suggeriert. Das ist aber ganz und gar nicht so. Gemäß Berufsgesetz sind Diätassistenten verpflichtet, eigenverantwortlich und selbstständig entsprechende ernährungsmedizinische und diätetische Maßnahmen zu planen, durchzuführen und zu überwachen. Andere medizinische Fachberufe wie etwa die Pharmazeuitisch- und Medizinisch-technischen Assistenten (PTAs und MTAs) – bei denen es übrigens keine solche “Namensdiskussionen” gibt – führen auch den „Assistenten“ im Namen und üben auf Anordnung des Arztes/der Ärztin eine verantwortungsvolle Tätigkeit aus. Sie tun das mit dem Selbstverständnis, dass es ohne ihre Zuarbeit keine Diagnosen und keine Therapieplanungen gäbe. Das ist manchen meiner Kolleginnen /Kollegen in ihrer täglichen Arbeit im ärztlichen und therapeutischen Kontext scheinbar nicht immer so deutlich. Allerdings hat der Wissenschaftsrat schon lange angeregt, die Berufsnamen der “Assistenzberufe” zu modifizieren, um ihren verantwortungsvollen Tätigkeiten auch “objektiv” gerecht werden zu können und Irritationen auszuschließen.
dF: Hätte man die Psychologen bei der Festlegung der Berufsbezeichnung Seelenklempner genannt, würde sich wohl niemand behandeln lassen.. Für das Marketing der Berufsgruppe ist die Bezeichnung DA im Grunde geschäftsschädigend. Gibt es Wege aus dieser ‘Bezeichnungsfalle’ ?
Blumenschein: Auch wenn das Beispiel witzig klingen mag und zudem plakativ ist, sehe ich das durchaus anders. Eine Berufsbezeichnung alleine ist weder Garantie für Qualität noch für den Aufbau eines erfolgreichen Geschäftes oder Angebotes. Auf die Oecotrophologen, die in Ernährungstherapie und –beratung tätig sind, trifft das ja eigentlich genauso zu. Auch der Begriff Oecotrophologe wird von Klienten/Kunden häufig hinterfragt. Ich denke, wir brauchen in allererster Linie mehr Selbstbewusstsein. Wir sollten stolz auf unsere Ausbildung und unsere Fähigkeiten sein – und entsprechend mehr über Ernährungsthemen reden statt über Berufsnamen. Dann würden Verbraucher mit unseren Themen sofort die qualifizierte Ernährungsfachkraft verknüpfen und gar nicht erst über die “Assistenten” nachdenken.
dF: Es gab doch schon früher Versuche, die Bezeichnung zu ändern oder zu modifizieren. Warum waren die bis heute nicht erfolgreich?
Blumenschein: Bisherige Versuche sind u.a. am Gesetzgeber gescheitert. Der steht in Deutschland auf dem Standpunkt, dass ohne definierten Grund – wie etwa eine gravierende Ausbildungsänderung – der gesetzlich geschützte Berufsname nicht geändert werden kann und soll. Der Gesetzgeber hat bereits in 2010 Vertretern des Berufsverbandes mitgeteilt, er sehe keine Notwendigkeit, einzig auf der Basis des Argumentes dass “der Name die Patienten irritiert” eine dermaßen tiefgreifende Änderung herbeizuführen. Um einer anderen Berufsbezeichung willen nun unsere Ausbildung zu ändern, macht aus meiner Sicht allerdings wenig Sinn. Der VDD und viele Diätassistenten tun schon seit Jahren Gutes, in dem sie sich im klinischen und ambulanten Bereich durch ihre leistung profilieren und qualifizierte Ernährungsberatung täglich praktizieren. Es geht uns weniger um den Namen als darum, zu zeigen, dass die Arbeit in der Ernährungsberatung/-medizin und Diätetik eben nicht von jedem erledigt werden kann, nur weil er auch isst und trinkt.
dF: Müssten sich nicht über den VDD hinaus alle Akteure im Bereich der qualifizierten Ernährungstherapie und -beratung zusammentun, um die Sache gemeinsam voranzubringen?
Blumenschein: Da müsste zunächst definiert werden, zu diesen Akteuren tatsächlich dazugehört. Zu den typischen, durch staatlich anerkannte Ausbildung bzw. Studium absolvierten definierten „Ernährungsfachkräften“ gehören in Deutschland in erster Linie Diätassistenten und Oecotrophologen. Zugehörig und über Zertifikate auch bei Krankenkassen anerkannt sind z.B. Bachelor/Master of Science mit Schwerpunkt Lebensmittel und Ernährung, Diplom-Ingenieure mit Schwerpunkt Ernährung. Alle diese Berufsgruppenangehörigen werden (oft mit entsprechender Zusatzqualifikation) formal als „Ernährungsfachkraft“ anerkannt. Die Mitglieder dieser Berufsgruppen zusammen zu bringen, um den Gedanken der qualitätsgesicherten Ernährungsberatung – und therapie voranzubringen, wäre sicherlich schwierig – aber nicht undenkbar. Dahinter müsste das Ziel stehen, sich im Einsatz für die qualitätsgesicherte Ernährungsberatung nicht auf Namen oder Berufsbezeichnungen zu reduzieren, sondern gemeinsam Inhalte, Fähigkeiten und Tätigkeiten in den Mittelpunkt zu stellen. Damit wäre schon viel erreicht.
dF: Frau Blumenschein, ich danke Ihnen für das Gespräch
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Dr. Friedhelm Mühleib