Hypertonie: „Wir brauchen den ganzheitlichen Blick“
Heute ist Welt-Hypertonietag: Etwa 20 bis 30 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Bluthochdruck (Hypertonie). Das ist fast jeder Dritte. Zwar erkranken vor allem ältere Menschen, aber zunehmend sind auch Jüngere betroffen. Ein unbehandelter Bluthochdruck ist Risikofaktor Nr. 1 für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und damit für viele Todesfälle durch Herzinfarkte und Schlaganfälle verantwortlich. Im Interview mit docFood fordert Dr. Dr. Charles C. Adarkwah: „In der Therapie der Hypertonie brauchen wir den ganzheitlichen Blick.“
Dabei kritisiert der Ernährungsmediziner, Hypertensiologe und Gesundheitsökonom, dass Lifestylefaktoren wie Ernährung und Bewegung in der Therapie nach wie vor noch nicht den Stellenwert genießen, den sie verdienen.
docFood: Wie wichtig es ist, Bluthochdruck früh zu erkennen und rechtzeitig zu behandeln, darauf will auch in diesem Jahr der heutige Welt-Hypertonietag aufmerksam machen. Gibt es – was die Behandlung des Hochdrucks betrifft – entscheidende Neuigkeiten?
Adarkwah: Die gibt es tatsächlich: Die Ergebnisse der SPRINT-Studie könnten die Behandlung des Bluthochdrucks komplett verändern. Die Studie hat gezeigt, dass eine Senkung des Blutdrucks bei Hypertonikern auf unter 120 mmHg das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall – verglichen mit einem Zielwert von 140 mmHg – deutlich vermindert und zudem die Gesamtsterblichkeit senkt. Die Ergebnisse sind so eindeutig, dass die Senkung der Zielwerte auch in Deutschland schon im Fokus der Fachgesellschaften ist. Die entscheidende Frage wird allerdings sein, wie man dieses Blutdruckziel erreicht. Sowohl bei der derzeitigen Behandlung als auch in der Diskussion der Konsequenzen für die Zukunft, sind nicht-medikamentöse Maßnahmen unterrepräsentiert. Das sollte sich ändern. Wenn wir die niedrigeren Werte erreichen wollen – was meines Erachtens sinnvoll ist – müssen wir uns noch einmal genau über den Weg dorthin Gedanken machen.
docFood: Der Einfluss von nicht-medikamentösen Maßnahmen wie Ernährung und Bewegung auf einen zu hohen Blutdruck gilt als hilfreich, aber begrenzt. Wenn jetzt der Blutdruck noch stärker gesenkt werden soll, ist dann nicht ein noch massiverer Einsatz von Medikamenten und eine noch geringere Wertschätzung von Ernährungs- und Lifestylemodifikationen zu erwarten?
Adarkwah: Ich sehe das anders: Ernährungs-und Lifestylefaktoren kommt eine sehr große Bedeutung zu. Bei den Teilnehmern der SPRINT-Studie wurde der Fokus zwar auf Menschen mit Bluthochdruck, aber ohne Diabetes gelegt, obwohl das Vorliegen beider Erkrankungen in der Praxis häufig vorkommt. Trotzdem hatten die Studienteilnehmer fast alle noch weitere Begleiterkrankungen. Das macht deutlich: Unsere Patienten sind komplexe Individuen, bei denen der Bluthochdruck meist nur einen Teil des gesamten Risikoprofils darstellt. Der Gesundheitszustand eines Hypertonikers hat in der Regel mehrere Facetten und meist ist Übergewicht eine davon. Deswegen darf sich der Blick auf den Nutzen einer Ernährungs- oder Bewegungtherapie nicht alleine am quantitativen Aspekt der Drucksenkung von einigen Millimetern Quecksilbersäule orientieren, sondern muss den Benefit für den Gesamtorganismus sehen. Eine gesündere und ausgewogenere Ernährung und Gewichtsreduktion bei adipösen Hypertonikern hat eine vielschichtigere Wirkung, als es sich in einem Blutdruckwert oder einer Senkung in mmHg fassen lässt.
docFood: Man darf die Hypertonie also nicht isoliert sehen, sondern muss sie als ein Symptom der gesundheitlichen Gesamtverfassung eines Individuums sehen?
Adarkwah: So ist es. Wir behandeln ja auch grundsätzlich keine Einzelparameter. Es geht ja in der modernen Herz-Kreislauf-Prävention immer um ein Gesamtrisiko. Überspitzt gesagt: Was interessiert mich der höhere Blutdruck per se? Er ist zunächst einmal in erster Linie ein Risiko für ein eventuelles kardiovaskuläres Ereignis, und das ist, was mich eigentlich interessiert. Da sind dann andere Faktoren neben dem erhöhten Blutdruck genauso wichtig. Wir brauchen den ganzheitlichen Blick! Das wird m.E. von einschlägigen Fachgesellschaften häufig zu eindimensional gesehen. Und bei diesem Blick aufs Ganze spielt die Ernährungsmedizin eine nicht zu verachtende Rolle – gerade hinsichtlich ihrer langfristigen Wirkung.
Das Interview führte Dr. Friedhelm Mühleib
Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews mit Dr. Dr. Adarkwah, in dem es um Möglichkeiten der Realisierung einer Ernährungstherapie und die Rolle von Ernährungsfachkräften geht, in den nächsten Tagen hier bei docFood.
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