Diabetes mit Diät besiegen

 Isobel Murray, 65 Jahre alt, Britin aus der Nähe von Glasgow, ist glücklich. Dem Reporter der BBC-News verkündet sie strahlend: „Ich habe den Diabetes mit Diät-Drinks besiegt“. Bis vor einem Jahr wog sie 95 kg und litt an Diabetes Typ II. Als Teilnehmerin der britischen DiRECT-Studie, deren spektakuläre Ergebnisse gerade veröffentlicht wurden, hat sie nicht nur 25 kg verloren, sondern auch ihren Diabetes. Sie sagt: „Ich habe mein Leben zurückbekommen.“
 
Isobel war eine von 298 Teilnehmern des Diabetes Remission Clinical Trial (DiRECT). Bei der DiRECT Studie ging es um die Frage, ob und inwieweit sich ein bestehender Typ II Diabetes durch Gewichtsabnahme und Ernährungsumstellung heilen lässt.
 

Wendepunkt für die Therapie des Diabetes

Die Studie brachte ein Aufsehen erregendes Ergebnis: Bei 46 Prozent der Teilnehmer in der Behandlungsgruppe war der Diabetes verschwunden (  in der Kontrollgruppe waren es nur 4 Prozent). Prof Roy Taylor (Newcastle University) und Prof Mike Lean Glasgow University) als wissenschaftliche Leiter der Studie sehen darin einen Meilenstein und Wendepunkt für die Therapie des Diabetes mit dem Potential, Millionen von Patienten zu helfen.
Zu den Fakten im Einzelnen: Bei den Teilnehmern der Studie handelte es sich um zufällig über Hausarztpraxen ausgewählte, stark übergewichtige Personen mit nicht insulinpflichtigem Typ-2-Diabetes im Alter von 20 bis 65 Jahren, die ihre Diagnose „Diabetes“ vor höchstens sechs Jahre erhalten hatten. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Für die Versuchsgruppe gab es ein strenges Programm mit dem Namen „Counterweigt-Plus“ und einer strikten Diät. Die Mitglieder der Kontrollgruppe erhielten von ihrem Hausarzt eine leitliniengerechte Diabetes-Therapie nach dem aktuellen Stand der diabetologischen Behandlung, wie sie ‚normalen‘ Diabetes-Patienten üblicherweise verordnet wird.
 

Drastische Umstellung der Ernährung

Die Diättherapie der Interventionsgruppe begann mit einer drastischen Umstellung: Blutzucker- und blutdrucksenkenden Medikamente wurden vom ersten Tag an abgesetzt, und die Teilnehmer mussten auf ihre bisherige Art zu essen komplett verzichten. Unter Begleitung und Beratung von Ernährungsfachkräften und geschulten Arzthelferinnen ernährten sie sich über drei bis fünf Monate hinweg ausschließlich von einer standardisierten Nährlösung (einer sogenannte Formuladiät) mit einer Energiezufuhr von ca. 850 Kalorien täglich. Anschließend lernten sie unter Anleitung der Fachkräfte schrittweise über zwei bis acht Wochen eine Umstellung auf eine kalorienarme Normalkost. Zudem wurden die Teilnehmer dann zu Bewegung animiert und erhielten eine kognitive Verhaltenstherapie.
 

50 Prozent vom Diabetes geheilt

Die Ergebnisse der Studie waren erstaunlich: Nach zwölf Monaten hatten die Teilnehmer der Interventionsgruppe im Mittel 10 kg abgespeckt (..gegenüber einem Kilo Gewichtsverlust in der Kontrollgruppe). Das eigentlich Spektakuläre aber war: Bei 46 Prozent in der Behandlungsgruppe war der Diabetes verschwunden (  in der Kontrollgruppe waren es nur 4 Prozent). Dabei war die Chance auf die Remission des Diabetes proportional zur Gewichtsabnahmen: Der Anteil der Diabetes-Remissionen stieg parallel zur Zahl der verlorenen Kilos. So war bei 86 Prozent der Patienten mit einem Gewichtsverlust von 15 kg und mehr der Diabetes verschwunden.
Dabei war die Diät-Therapie praktisch frei von Nebenwirkungen. Nicht ein einziger Patient der Interventionsgruppe brach seine Teilnahme aufgrund schwerer bzw. unerwünschter Wirkungen ab. Einige Teilnehmer litten unter vorübergehenden Störungen des Allgemeinbefindens wie Kopfschmerzen, Schwindel oder Verstopfung. Die Abbrecher-Quote von 21 Prozent ging zum überwiegenden Teil nicht auf ein Scheitern an der strengen Diät zurück, sondern war in den meisten Fällen durch persönliche Umständen wie Umzug, Trauerfall oder Jobverlust bedingt.
 

docFood meint

Allen Unkenrufen zum Trotz zeigt die Studie: Ernährungstherapie kann extrem viel bewirken. Wenn ähnliche Studien und Projekte in Vergangenheit gescheitert sind, mag das auch an der fehlenden fachkundigen Betreuung gelegen haben. Die Teilnehmer von DiRECT wurden von Ernährungsfachkräften während der gesamten Laufzeit der Studie engmaschig und professionell begleitet. Alleine dieser Faktor dürfte einen großen Teil des Erfolgs erklären. Der gutgemeinte ärztliche Rat, zwischen Tür und Angel, doch möglichst ein paar Kilo abzuspecken, reicht eben nicht, um Patienten zu motivieren. Das ist etwa so wirksam, wie wenn ein Analphabet dem anderen empfiehlt, doch mal ein Buch zu lesen. In jedem Fall bleibt es spannend, denn die englischen Forscher werden die Studie weiterführen. Schließlich stehen die Teilnehmer nach Ansicht der Wissenschaftler jetzt vor der größten Herausforderung: Gewicht langfristig halten und ein erneutes Aufflammen des Diabetes vermeiden. Zur Klärung der Frage, wie die Teilnehmer das meistern, werden weitere vier Jahre lang Daten erhoben und ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Phase könnten, so Taylor und Lean, die Behandlung des Typ-2-Diabetes revolutionieren.

Dr. Friedhelm Mühleib

Einen ausführlichen Kommentar von Dr. Friedhelm Mühleib zum Umgang mit den Ergebnissen der Studie und zur Wahrscheinlichkeit von Konsequenzen für die Behandlung des Diabetes gibt es hier im tellerrandblog

3 Kommentare
  1. Nicolai Worm sagte:

    Ja – es funktioniert, wenn man sich darauf einlässt! Mahlzeitenersatz mit einer guten Formula – anfangs 3 x am Tag und in späteren Phasen nach individuellem Bedarf – hat sich in zahlreichen Studien als überlegen gegenüber energiereduzierten herkömmlichen Diäten auch über den Zeitraum von 3 bis 4 Jahren gezeigt. Dennoch sind “Formula”-Diäten in der Ernährungsberatung als reine Geschäftemacherei stigmatisiert.
    In der DiRECT-Studie war die Anschluss-Ernährung fettarm/kohlenhydratbetont, weil sie so seit Jahr und Tag von dem Hersteller der verwendeten Formula vertreten wird. Ich habe mich vor einigen Tagen mit Prof. Roy Taylor, dem Studienleiter von DiRECT, kurzgeschlossen und er hat zugegeben, dass er lieber eine alternative Folgeernährung eingesetzt hätte. Wir verwenden in unserem “Leberfasten”-Konzept eine mediterrane Low-Carb Ernährung als Anschluss-Kost, weil hierfür die beste Evidenz vorliegt… Siehe auch hier:
    https://circ.ahajournals.org/content/early/2017/11/14/CIRCULATIONAHA.117.030501.long

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  2. Iris Flöhrmann sagte:

    Ja es funktioniert- das ist keine Neuigkeit, wenn man bereits seit 30 Jahren Ernährungstherapie macht. Eigentlich ist es auch der Fachwelt bekannt, wenn man mal die Leitlinien liest… Dort sollte u.a. Ernährungstherapie erste Intervention sein. Nur was ist die Realität: Das System hat kein Interesse daran es umzusetzen. Da sind die Patienten non complient, es gäbe ja nix mehr aus dem DMP-Topf für Ärzte und Kassen und wo sollen die ganzen Pharmaunternehmen bleiben , Daten fehlen… Ach die Liste ist so lang. Rein passt natürlich auch das Vorurteil Ernährungsfachkräfte ( ich meine ausschließlich Oecotrophologen und Diätassistenten) mögen keine Formula-Diäten. Mal abgesehen davon, dass es viele Konzepte mit Formulk-Diät und Abnehmen wie z.B. Optikast gibt welche von Fachkräften wie oben begleitet werden, stellt sich die Frage, ob das die Aussage des Textes oder der Studie gewesen sein soll, dass bisher nicht richtig die Formularmahlzeiten-Konzepte umgesetzt wurden ?
    Das denke ich eher nicht sondern die intensive Betreuung. Nur reichten die Maßnahmen für einen Langzeiteffekt ? Das soll jetzt erst geprüft werden…
    Es gibt in der Praxis viele Kollegen, die mit und ohne Formula-Diät in durchschnittlich 5 Therapiesitzungen nachhaltig das Gewicht und Diabetes Typ 2 positiv beeinflussen- nur geben die Rahmenbedingungen nicht her, dass diese alle das gemeinsam in vernünftigen Studien zeigen können. Dafür gibt es aber tolle evaluierte medizinische Schulungsprogramme, die seit 20 Jahren quasi unverändert sind mit dem Effekt , dass die Patienten damit nicht nachhaltig Gewicht und Diabetes verändern- aber dahin gehen weil KV-Leistung…

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