„Der hat wirklich einen guten Geschmack“. Das behaupten wir gerne von einem Menschen, der sich mit schönen Dingen umgibt. Man kann guten Geschmack z.B. in der Auswahl seiner Kleidung, Möbel oder Autos zeigen. Der Ursprung des guten Geschmacks im eigentlichen Wortsinn ist uns jedoch „in den Mund“ gelegt: Das Gefühl und die Entscheidung für das, was wir essen, hat dabei entscheidenden Einfluss auf unsere Lebensqualität. Hier erfahren Sie, was guten Geschmack ausmacht:
Jean Anthelme Brillat-Savarin war Jurist, Feinschmecker, und Schriftsteller. Sein Hauptwerk, „Die Physiologie des Geschmacks“, erschienen im Jahr 1826, beeinflusst bis heute weltweit die Kochkunst und das Denken von großen Köchen, Gourmets und Genießern.
Guter Geschmack macht Spaß
Was ‚guter Geschmack‘ für uns Menschen bedeutet, sah der große Gastrosoph schon damals sehr klar: „Indem er uns Vergnügen bereitet, lädt uns der Geschmack dazu ein, die steten Verluste zu ersetzen, welche wir durch die Lebenstätigkeit erleiden.“ Das kann man auch aus heutiger Sicht wohl bedingungslos unterschreiben. Was gut schmeckt, bringt Spaß, würde man heute wohl sagen. Entsprechend essen wir am liebsten das, was uns besonders gut schmeckt. Damit beweisen wir jedoch noch nicht unbedingt einen guten Geschmack. Zunächst einmal drückt sich darin nur die Fähigkeit aus, Bekömmliches von Ungenießbarem zu unterscheiden. Denn der Geschmack ist ursprünglich nicht zu unserem Vergnügen da. Entwicklungsgeschichtlich gesehen ist er nichts anderes als ein chemischer Wächter am Eingang unseres Verdauungstraktes. Manche Stoffe lässt er bevorzugt durch, andere weist er zurück. Alles, was Gefahr signalisiert, darf die Schleuse nicht passieren. Die Fähigkeit, bitter zu schmecken, warnt uns bis heute vor möglicherweise giftigen Lebensmittelinhaltsstoffen. Meist lehnt der Wächter das Extreme ab: Alles was zu sauer, zu salzig, zu streng schmeckt oder in anderer Hinsicht stark abweicht vom Gewohnten, muss draußen bleiben!
Über Geschmack lässt sich streiten
Allerdings: was dem einen schon zu salzig ist, empfindet der nächste als fad. Was zu süß, zu sauer, zu salzig oder zu bitter ist, dafür gibt es keine feste Regel, woraus folgt: Über Geschmack lässt sich streiten – und jeder Mensch entwickelt eigene Präferenzen. Rein biologisch gesehen passiert allerdings immer das Gleiche: Wir prüfen den Geschmack einer Speise mit allen Sinnen und bewerten ihn. So ist der Geschmack als komplexer Sinneseindruck wesentlich mehr als das, was die Zunge uns vermittelt. Schon das Auge isst mit – was den Fernsehköchen die Zuschauer erhält. Bereits beim Zuschauen entsteht eine Geschmacks-Illusion, die dem Betrachter das Wasser im Mund zusammenfließen lässt. Die Verknüpfung zwischen Optik eines Produkte und der Vorstellung seines Geschmacks wirkt auch im Supermarkt: Wir kaufen das, wovon wir glauben, dass es lecker schmecken wird. So nimmt zunächst das Auge ein Lebensmittel wahr und sendet seine Eindrücke ans Gehirn. Wir wissen dann schon im Voraus, dass uns mit Eiscreme etwas Kaltes oder mit einer Nuss etwas Knackiges erwartet.
Das meiste, was wir schmecken, riechen wir
Wenn es ans Essen geht, arbeiten Zunge und Nase eng zusammen. Mit der Zunge schmecken wir nur sechs verschiedene Qualitäten – alles andere riechen wir. Süß, sauer, bitter und salzig – das sind die vier „klassischen“ Grundgeschmacksrichtungen, denen die Forschung der letzten Jahren zwei weitere hinzugefügt hat: Als fünften Geschmack kennen wir inzwischen Umami, der sich vor allem bei eiweißreichen Lebensmitteln entfaltet (Meeresfrüchte, Fisch, Würz-Soßen, Soja-Soße, aber auch bei reifen Tomaten). Seit kurzem wissen wir, dass es noch einen sechsten Geschmackssinn gibt: den Geschmack für Fett. Französische Wissenschaftler entdeckten einen als CD 36 bezeichneten Geschmacksrezeptor auf der Zunge, dessen einzige Funktion es offensichtlich ist, die Aufnahme von Fett zu registrieren. Alles, was darüber hinausgeht, nehmen wir über die 350 verschiedenen Typen von Riechzellen in unserer Nase war. Dabei gelangen die Aromen „von hinten“ über den Rachen in die Nasenhöhle und werden dort von der Riechschleimhaut aufgenommen. Die Vielfalt an Gerüchen ist enorm: Es gibt schätzungsweise 10.000 Aromamoleküle. In vielen Lebensmitteln sind gleich mehrere 100 davon enthalten. Etwa 3000 verschiedene Gerüche können wir wahrnehmen, doch nur ca. 200 davon unterscheiden wir bewusst.
Geschmack hat viele Komponenten
Neben ihren Geschmackszellen ist es vor allem das feine Tastgefühl der Zunge und der Mundschleimhaut, was unser Geschmacksbild von einer Speise prägt. Mit ihm erfassen wir die Textur der Lebensmittel – ob weich oder hart, zart, mehlig, teigig, klebrig, faserig oder trocken. Wir erfühlen die Textur eines Lebensmittels, wenn wir zubeißen, kauen oder schlucken. Gleichzeitig erwarten wir von ganz bestimmten Speisen eine ganz bestimmte Konsistenz: Süßspeisen sollen cremig sein, Suppen sollen sämig sein. Nudeln wollen wir bissfest und Cerealien knusprig. Sogar das Ohr schmeckt mit: Von Chips erwarten wir, dass sie richtig krachen, Kekse müssen knuspern und beim Biss in die Knackwurst muss es krachen. Auch Temperatursinn und Schmerzempfinden spielen eine Rolle: Das Scharfe in einer Speise – etwa das Alkaloid Capsaicin in Paprika – wird nicht eigentlich geschmeckt. Wir registrieren es, weil es unseren Trigeminusnerv reizt. Er ist auch an der Geruchswahrnehmung beteiligt. Ohne ihn würden wir angesichts einer frisch geschnittenen Zwiebel keine Träne vergießen. Das Gehirn schließlich verarbeitet alle Informationen, die von Zunge, Nase und Augen über die Speise gesammelt wurden und teilt uns umgehend das Ergebnis mit – zum Beispiel „lecker“, „eklig“ oder „köstlich“.
docFood meint
Wie kommt man zu einem guten Geschmacksurteil? Damit diese Urteilsbildung funktioniert, müssen die Sinne geweckt und genutzt werden. Sonst verkümmern sie wie unbenutzte Muskeln. Bewusstes Schmecken belebt das Gehirn und unser Denken – und nur daraus bildet sich der gute Geschmack. Wohl bekomms!
Dr. Friedhelm Mühleib