Der Ernährungstherapeutische Prozess

„Der Ernährungstherapeutische Prozess“ ist der Titel eines beeindruckenden Sammelbandes, verfasst von einem Dutzend Schweizer ErnährungsberaterInnen, der als erster im deutschsprachigen Raum einen profunden Überblick dessen liefert, was vor allem in den USA schon seit Jahren als „Nutrition Care Process“ (NCP) diskutiert und vor allem auch praktiziert wird. Die folgende Rezension wurde freundlicherweise von Sonja Mannhardt, Oecotrophologin und Ernährungstherapeutin aus Schliengen, für docFood als Gastbeitrag zur Verfügung gestellt:
 
Zunächst einmal ein WOW! Dieses beeindruckende Werk unserer Schweizer Kollegen bringt endlich in einer umfassenden und differenzierten Betrachtung die Komplexität des ernährungstherapeutischen Prozesses zu Papier. Erstmals im deutschsprachigen Raum wird beschrieben und eindrücklich aufgezeigt, was unsere Arbeit als professioneller Beratungsprozess von Möchtegern-Beratern unterscheidet und trägt damit maßgeblich zu einer Professionalisierung und Akademisierung unserer Arbeit bei! Damit liefert es eine großartig gelungene Beschreibung des Prozesses, der den Kern unserer Arbeit ausmacht.

Ernährungstherapie – Partnership in fünf Schritten
Anhand des im angelsächsischen Raum längst bekannten Konzeptes des „Nutrition Care Process“-Modells (NCP) wird in fünf Schritten aufgezeigt, was unsere Arbeit ausmacht: ● Ernährungstherapeutisches Assessment ● Ernährungstherapeutische Diagnose, ● die Planung der Beratung, ● die ernährungstherapeutische Intervention und ● das ernährungstherapeutische Monitoring inkl. Evaluation. Doch anders als in anderen Werken wird nicht „trocken“ und relativ praxisfern aufgezeigt, was das heißt, sondern die Autoren haben es als Kollegen verstanden, den Transfer in unsere Beratungspraxis zu schaffen. Sie begreifen und vermitteln unsere Arbeit als „partnership“. Sehr hilfreich sind in diesem Sinne zum Abschluss jedes Kapitels die „zentralen Gesichtspunkte“, die zusammenfassen sowie die „Diskussion“, die dem Lesenden wichtige Fragen zur Selbstreflektion stellt – ganz im Sinne von „partnership“.

Im Mittelpunkt: Die Patient-Berater-Beziehung
Dabei gliedert sich das Buch in zwei Hauptteile:

  1. Grundlagen des Handlungsfeldes, des Expertenwissens und der Expertise-Entwicklung ernährungstherapeutischer Fachpersonen
  2. Der ernährungstherapeutische Prozess – ein didaktisches Hilfsmittel zum Erwerb von Handlungskompetenzen.

Im ersten Teil beeindruckt vor allem das Kapitel „Kooperative Beziehungsgestaltung“. Endlich wird ausgesprochen, was andere wissenschaftliche Disziplinen längst wissen (Pädagogik, Psychotherapie, Medizin): Es ist die Patient-Berater-Beziehung die wirkt! Es werden die medizinisch-ethischen Prinzipien aufgegriffen, es wird zwischen Moral und Ethik (endlich!) unterschieden, auf das Modell der „Wirkfaktoren“ und Menschenbild ebenso eingegangen, wie auf die Merkmale einer professionellen Beziehung. Selbst neueste Erkenntnisse zur „working alliance“ werden klug, brandaktuell und dezidiert aufgegriffen und in unseren Alltag übertragen.

Vom Kern der Ernährungstherapie
Und endlich findet sich in einem Buch über NCP ein Kapitel, indem es um das Herz unserer Arbeit geht, nämlich die „ernährungstherapeutischen Interventionen“, die in Folge zu nachhaltigen Verhaltensänderungen führen sollen. Nicht nur die Prozess-Elemente wie Auftragsklärung, Zielklärung und Maßnahmenplanung kommen zur Sprache, sondern das Kapitel beginnt zu recht mit „Haltungen und Handlungen der Fachperson“. Danach werden die Kategorien ernährungstherapeutischer Interventionen beschrieben. Die direktiven (z.B. Zufuhr von Lebensmitteln und Ernährungsanpassungen; die Ernährungsedukation und -information), sowie die Ernährungsberatung und -befähigung und die indirekten Interventionen, die als Begleitung des Veränderungswegs verstanden werden können.

Ein Dankeschön an die Autoren!
Einfach wunderbar sind die vielen Praxisbeispiele, die nur jemand schreiben kann, der viel Beratungserfahrung hat. Am Ende der Lektüre kann ich den Autoren nur vollumfänglich zustimmen: „Das Buch hat das Zeug, zum Standardwerk zu avancieren.“ Es ist bestens geeignet, das eigene Handeln bewusst zu machen und zu analysieren. In jedem Fall gebührt den 12 Schweizer Kollegen und Autoren ein herzliches Dankeschön! Ihnen ist ein Werk gelungen, das nicht in blanker Theorie stecken geblieben ist und darüber hinaus zum Denken anregt.

Sonja Mannhardt

 
Übrigens: Wer die Autoren persönlich erleben und die Arbeit mit dem ernährungstherapeutischen Prozesse praxisnah kennen lernen will, dem bietet das Seminar “Der Nutrition Care Process” (08. – 09. Juni) bei ‘freiraum – Fachseminare für Ernährungsprofis‘ eine ideale Gelegenheit.

Adrian Rufener und Sandra Jent (Hrsg.), Der Ernährungstherapeutische Prozess, Hogrefe Verlag, Bern 2016, 416 Seiten, ISBN: 978-3-456-95501-8, Preis: 49,95 EUR