Kann eine gute Versorgung mit dem Spurenelement Selen vor Darmkrebs und anderen Darmerkrankungen schützen? Prof. Dr. Anna Patricia Kipp, Professorin für Molekulare Ernährungsphysiologie an der Universität Jena, ist überzeugt davon, dass es einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Selen und dem Schutz vor Darmkrebs gibt. Kipp hat u. a. Signalwege im Darm untersucht, die bei einer Unterversorgung mit Selen aktiviert werden. Die Behauptung „Selen hilft bei Darmkrebs“ lässt sich allerdings noch nicht beweisen.
Bis dahin ist nach Ansicht von Kipp immer noch viel Forschung nötig. Die Ergebnisse von Kipp sind Teile eines Puzzles, das irgendwann ein genaueres Bild der Wirkungen des Spurenelementes auf die Darmgesundheit vermitteln wird.
Selen: Nutzen und Schaden eng beieinander
Doch Vorsicht ist geboten: Für den Menschen liegen Nutzen und Schaden des Selens extrem eng beieinander. Ein Selenmangel macht sich zunächst meist mit unspezifischen Symptomen bemerkbar wie Müdigkeit, Haarausfall, schuppige Haut, Muskelschwäche, Leberfunktionsstörungen und Störungen der Magen-Darm Funktion bis hin zum Auftreten entzündlicher Darmerkrankungen. Ein chronischer Mangel an Selen wurde immer wieder auch mit steigendem Risiko für die verschiedensten Krebserkrankungen in Verbindung gebracht – allerdings bis heute ohne wirklich evidente Beweise.
Wieviel Selen braucht der Mensch?
Allerdings: Bei abwechslungsreicher Ernährung ist ein Selenmangel hierzulande eher unwahrscheinlich und selten. Um den Körper ausreichend mit Selen zu versorgen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Erwachsene die tägliche Aufnahme von 30 bis 70 µg, für Kinder je nach Alter 10 bis 60 µg. Die tatsächliche Selenzufuhr mit der Nahrung liegt in Deutschland mit 30 bis 40 µg relativ niedrig – aber immer noch gerade im ‚grünen‘ Bereich. In anderen Ländern, etwa in den USA oder in Südamerika, werden viel höhere Werte erreicht. Trotzdem beträgt der durchschnittliche Serumspiegel der deutschen Bevölkerung in Studien regelmäßig um die 80 µg/l. Werte zwischen 50 und 120 µg/l gelten dabei als normal. Wenn die Wissenschaftlerin Kipp mit ihren Aussagen über die Wirkung von Selen auf die Entstehung von Darmkrebs sehr zurückhaltend ist, dann sicher auch, um den Hype im Bereich der Nahrungsergänzungsmitteln um das Spurenelement nicht unnötig zu beflügeln.
Vorsicht vor zu viel Selen
Während Ernährungsmediziner eine tägliche Aufnahme von maximal 200 µg aus Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln empfehlen, sehen vorsichtige Toxikologen die Schwelle zu möglicher gesundheitlicher Gefährdung bereits bei einer Menge von 300 µg. Zu viel Selen macht sich in ähnlichen Symtomen bemerkbar wie zu wenig: Haarausfall, Hauterkrankungen, Diabetes, Leberstörungen – und ein erhöhtes Risiko für verschiedene Krebsarten, darunter Prostata- und Lungenkrebs. Wer die maximal empfohlene tägliche Aufnahmemenge aus Nahrungsmitteln und Supplementen von 300 bis 400 µg Selen dauerhaft überschreitet, muss mit den beschriebenen Nebenwirkungen rechnen: Also Vorsicht vor zu viel Selen!
docFood rät
Obwohl Selen also potenziell giftig ist, gab und gibt es im naturheilkundlichen Bereich zeitweise einen regelrechten Hype um das Spurenelement. Der Fitnesspapst Dr. Ulrich Strunz z. B. preist Selen als Wundermittel gegen Krebs an, mit dem sich angeblich zu bis zu 70 Prozent aller Prostata-, Lungen- und anderer Krebserkrankungen verhindern lassen. Das darf man getrost als Unsinn bezeichnen. Die Einnahme von Selenpräparaten z. B. zur Verbesserung der Darmfunktion oder zur Prävention von Darmkrebs ist nach dem Stand der Wissenschaft nur bei einem nachgewiesenen Mangel sinnvoll. Ansonsten aber kann Selen als Nahrungsergänzungsmittel eher schaden. Insbesondere in Kombination mit anderen Antioxidantien sind unerwartete Wechselwirkungen möglich. Prof. Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, fasst die geltenden Empfehlungen zusammen: „Eine ausgewogene Ernährung versorgt den Körper ausreichend mit Selen. Wer das Gefühl hat, unterversorgt zu sein, sollte, bevor er zu Supplementen greift, mit seinem Arzt besprechen, ob er diese wirklich benötigt oder nicht.“
Dr. Friedhelm Mühleib